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Regisseur und Schauspieler Nate Parker bei der Premiere seines Films "The Birth of a Nation". Seine Vergangenheit sorgt für eine Kontroverse.

© REUTERS

"The Birth of a Nation": Sklaverei und Sexismus - warum das Publikum fernbleibt

Der hochgelobte antirassistische Film "The Birth of a Nation" enttäuscht an der US-Kinokasse. Das Publikum bleibt weg, weil der Regisseur einmal wegen Vergewaltigung angeklagt war.

Kurz nach dem Kinostart in den USA droht der Film „The Birth of a Nation“, ein Flop zu werden. Am ersten Wochenende kamen sieben Millionen Zuschauer – deutlich weniger als erwartet. Und das bei einem Film, der noch vor wenigen Wochen als großer Oscar-Favorit gehandelt worden war. Er löste aber eine Kontroverse aus, die das liberale Publikum aufwühlt. Soll es einen antirassistischen Film unterstützen, obwohl der Regisseur einmal der Vergewaltigung angeklagt war? Zwar blieben explizite Boykottaufrufe gegen den Film aus. Dafür gab es reichlich emotionalisierte und heftige Kritik.

Dass Film und Regisseur so schnell aufstiegen und so schnell fielen, hat mit Sklaverei zu tun, mit Identitätsfragen und Feminismus. „An diesem Fall hängt so unendlich viel, brisant ist gar kein Ausdruck“, sagt die Amerikanistin und Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Schäfer-Wünsche.

Es geht um ein kompliziertes Geflecht aus Rassismus und Sexismus. Es geht um Mythen des schwarzen Vergewaltigers, um Zweifel an Freisprüchen, um Männer als Retter vergewaltigter Frauen und auf der anderen Seite um das tiefe Bedürfnis einer Gesellschaft, dass die Kultur sich mehr mit der Sklaverei auseinandersetzt.

Schneller Aufstieg, große Zweifel

Der Film war Nate Parkers großes Projekt: Der 36-Jährige ist gleichzeitig Autor, Regisseur und Hauptdarsteller. Er erzählt von einem Sklavenaufstand in Virginia im Jahr 1831. Als sein Film erstmals auf einem Festival gezeigt wurde, galt er sofort als Oscar-Favorit.

Dann wurde bekannt, dass Parker vor anderthalb Jahrzehnten wegen Vergewaltigung angeklagt war. Während Parker behauptet, sie habe freiwillig mit ihm und seinem Freund Sex gehabt, sagte die Frau, sie sei betrunken und nicht bei Bewusstsein gewesen. Parker wurde freigesprochen, unter anderem, weil die Frau tags zuvor schon einmal Sex mit ihm gehabt hatte. Vor vier Jahren hat sich die Frau dann selbst getötet.

Einige Bürgerrechtler distanzierten sich von dem Film. Die schwarze Feministin Roxane Gay schrieb in der „New York Times“, sie könne Kunst und Künstler nicht trennen und werde den Film deshalb nicht anschauen. Andere Bürgerrechtler verteidigten den Film mit dem Argument, dass die Biografie des Regisseurs nicht die Bedeutung des Films schmälert. Bis heute beschäftigt er die großen US-Medien.

Weltweites Echo auf sexuelle Gewalt

„Rassismus ist alltäglich“, sagt Linda Martín Alcoff, Philosophieprofessorin vom Hunter College in New York, die sich mit Rassismus und Feminismus beschäftigt. Die Bewegung „Black Lives Matter“ demonstriert gegen Polizeigewalt. Sportler solidarisieren sich. Künstlerinnen wie Beyoncé positionieren sich bewusst als schwarze Frauen. Als „The Birth of a Nation“ erstmals vorgeführt wurde, diskutierte das Land gerade über die Oscars: das zweite Jahr in Folge waren nur weiße Schauspieler nominiert.

Ungerechtigkeiten, die heute stärker wahrgenommen werden – aus diesen Gründen erstarkt auch der Feminismus. Nach den auf Video dokumentierten frauenfeindlichen Bemerkungen Donald Trumps berichteten auf Twitter hunderttausende Frauen von Erfahrungen mit sexueller Gewalt. „Es gilt heute als weniger gefährlich, darüber zu sprechen, weil es viele tun“, sagt Linda Martín Alcoff. Nicht nur in den USA: der Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn, die Übergriffe auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau im indischen Neu-Delhi – „all das erzeugt weltweite Echos“.

In den USA stehen Vergewaltigungen an Colleges im Fokus – Fälle wie der Nate Parkers. Hillary Clinton hat sie sogar zum Wahlkampfthema gemacht. Erst kürzlich sorgte eine Vergewaltigung in Stanford für Schlagzeilen, weil der Täter mit einer sehr geringen Strafe davonkam.

Zudem habe sich das Verständnis von Vergewaltigung gewandelt, sagt Elisabeth Schäfer-Wünsche. Die Forderung: Sex ist nur in Ordnung, wenn alle explizit einwilligen. Wer sehr betrunken oder gar bewusstlos ist, kann das grundsätzlich nicht. Deshalb entlastet der Freispruch Nate Parker in den Augen vieler nicht. „Heute wäre das Urteil womöglich anders ausgefallen“, sagt Schäfer-Wünsche.

Es bleibt ein Dilemma

Aber nicht nur Parkers Geschichte stört Feministinnen – sie ärgert auch, dass Vergewaltigungen im Film Anlass für Rache der Sklaven sind. Der Mann schwinge sich zum Retter auf, so beschreibt es Linda Martín Alcoff. Deshalb helfe der Film nicht weiter, findet sie – obwohl er ein wichtiges Thema behandle.

Dass sich das liberale politische Lager trotz der Kontroverse nicht erbittert zerstritten hat, hat womöglich damit zu tun, dass sich die Bewegungen heute überschneiden. „Seit den späten Achtzigern verbreitet sich die Idee der Intersektionalität“, sagt Linda Martín Alcoff. Das heißt: Diskriminierungen hängen zusammen. Wer etwa gegen Rassismus vorgehen will, muss Sexismus ernst nehmen und umgekehrt.

Doch im Fall Nate Parker ist das schwierig. „Das ist ein Dilemma“, sagt Elisabeth Schäfer-Wünsche. Es bleibt nur die Auseinandersetzung. „Ich hoffe, dass wir das als Gelegenheit nehmen können, genauer hinzusehen“, schreibt Gabrielle Union, eine Schauspielerin aus Nate Parkers Team, in einem Gastbeitrag für die „Los Angeles Times“. Die 43-Jährige beschreibt, dass sie vor 24 Jahren selbst vergewaltigt wurde. Im Film spielt sie nun eine Sklavin, die vergewaltigt wird. „Ich wollte meiner Figur, die im Film stumm bleibt, eine Stimme geben.“ Eine Stimme, die zahllose Frauen nicht hatten und haben. Den Film nennt sie immer noch „brillant“. Aber, sagte sie in einem Interview, sie verstehe alle, die ihn nicht anschauen: „Verkaufen und bewerben kann ich den Film nicht.“

Jonas Schaible

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