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"Themse-Wal": Londons bester Freund

Der vergebliche Überlebenskampf des in der Londoner Themse gestrandeten Wals hat tausende Londoner und Millionen Fernsehzuschauer in aller Welt gerührt. Tierschützer nutzten das Spektakel, um auf den industriellen Walfang aufmerksam zu machen.

London - London lag im Sonnenlicht, tausende waren auf den Beinen. «Whale Watching» war angesagt. Walbeobachtung an der Themse, mitten im Herzen der britischen Metropole. «Da, schaut doch», rief ein kleines blondes Mädchen voller Begeisterung. «Der Kran, sie heben ihn auf das Boot, der Wal ist gerettet, er wird leben.» Sieben Stunden später war der Meeresriese tot. Und Eltern in vielen Ländern mussten ihren Kindern beim Zubettgehen erklären, warum Londons Wal trotz aller Anstrengungen der Retter doch noch gestorben war.

Die Welt, so schien es fast über viele Stunden, stand im Bann eines einzigen Entenwals. Nicht nur BBC News 24, auch die Nachrichtenkanäle von TV-Sendern in etlichen anderen Ländern kannten nur noch ein Thema: Der Themse-Wal. Bei BBC verdrängte die Rettungsaktion für «Free Whaley» - so hatte eine Londoner Zeitung den Meeressäuger in Anspielung auf den Wal-Film «Free Willy» genannt - selbst Laura Bush rasch vom Sender. Die US-Präsidentengattin hatte in einem Exklusivinterview versichert, ihr Mann sei ein echter Kriegsgegner. Was war das schon gegen die Dramatik auf der Themse?

«Niemals war an den Flussufern derart viel los», wunderte sich die Sonntagszeitung «Observer». Der Wal sei sofort «Londons bester Freund» geworden. Während kaum noch jemand an das Ungeheuer von Loch Ness glaubt, war dieser Riese nicht nur ganz real, sondern auch ganz fantastisch. So überraschend wie er da am Freitag vor dem Westminster-Parlament mit dem weltberühmten Uhrenturm Big Ben aufgetaucht war und vor dem Riesenrad London Eye eine Wasserfontäne gen Himmel geschossen hatte. Am Sonntag folgten die Trauerschlagzeilen. «Farewhale» titelte die «Daily Mail» in einer Mixtur aus Lebewohl (Farewell) und Wal (Whale).

Für Millionen Menschen sind Wale die «Krone der Schöpfung», die «klugen Riesen», die «guten Geister im Ozean». Auf der Beliebtheitsskala der Tiere tauchen sie regelmäßig vor oder wenigstens gleichwertig mit Elefanten, Pandas, Koalas, Pinguinen und Robben auf. Die Schwärmerei ernährt nicht nur Hersteller von Wal- Kuscheltieren. Sie hilft auch, die Geldbörsen zu öffnen, wenn Tierschützer um Spenden für Aktionen gegen den Walfang bitten. Allen voran die Organisation Greenpeace, die schon 1975 mit dem Ruf «Rettet die Wale» mit einem kleinen Schiff sowjetische Walfänger vor der Pazifikküste beim Abschießen von Pottwalen behinderte.

Erst kürzlich stellte Greenpeace einen in der Ostsee verendeten Wal vor der japanischen Botschaft in Berlin zur Schau, um dagegen zu protestieren, dass die Japaner ihre Walfangquote für dieses Jahr verdoppelt haben. So traurig das Schicksal des Londoner Wals auch sei, sagt Crane Sterling, eine Sprecherin des Internationalen Tierschutzfonds IFAW, so sehr habe er eine Art Mission erfüllt. «Er hat durch sein Auftauchen vor den Kameras auch die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass Wale immer noch industriell gejagt werden.»

Damit dürfte «Whaley» mindestens ebenso viel für die Erhaltung seiner Art getan haben, wie seine berühmten Hollywood-Kollegen in der «Free Willy»-Serie und in dem neuseeländischen Film «Whale Rider», über das Wal reitende Maori-Mädchen Paikea. Dass der Themse-Wal nicht wirklich eine Chance hatte, wussten wohl die meisten der Rettungskräfte. «Solche Aktionen gehen höchstens in fünf Prozent aller Fälle glücklich aus», sagte der britische Wal-Experte David Taylor. «Aber wir mussten und wollten alles versuchen - und ich denke, wir würden es immer wieder tun.»

Dennoch wurden am Sonntag auch Fragen nach der Verhältnismäßigkeit des umgerechnet rund 150 000 Euro teuren Rettungseinsatzes laut. Zeitweise habe sich an der Themse «eine Atmosphäre der Hysterie» breit gemacht, konstatierte die britische Presseagentur PA. «Der Fluss fordert alljährlich 80 bis 100 Menschenleben. Etwa 80 Prozent sind Selbstmorde. Fast keiner dieser Todesfälle wird in den Medien auch nur erwähnt. Traurigerweise erscheinen sie einfach als zu gewöhnlich.» (Von Thomas Burmeister, dpa)

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