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Ganz ruhig. Thomas Middelhoff am Montag, als er Reportern nicht ausweichen konnte. Am Freitag war er vor ihnen geflüchtet und aus dem Fenster gesprungen.

© dpa

Thomas Middelhoff: Wie er die Geschichte mit dem Fenstersprung erzählte

Thomas Middelhoff ist von Gläubigern umringt. Die Geschichte seines unaufhaltsamen Abstiegs nimmt immer groteskere Züge an. Am Montag äußerte sich sein langjähriger Fahrer und berichtete über Middelhoffs Stau-Angst am Kamener Kreuz.

Es gab eine Zeit, da war er der Star unter den Konzernlenkern, sein Kopf zierte den Titel von „Newsweek“, alle Welt war gefangen von seinem entwaffnenden Charme, mit dem er jeden in seinen Bann zog. Es war die Zeit, als er mit Privatjets zu seinen Terminen flog, als er auf seiner Jacht „Medici“ im Hafen von Saint-Tropez Partys gab und jeder, der es wissen wollte, erfuhr, dass diese Jacht ihn jährlich mehr als 700 000 Euro Unterhalt kostet. Er, der sich immer nur für das Große interessierte, die großen Pläne und Visionen, hatte sich viel vorgenommen. Als Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann hatte er weltmännischen Glanz nach Gütersloh gebracht und alle glaubten ihm, als er den Karstadt-Quelle-Konzern unter dem neuen Namen Arcandor nach vorne bringen wollte.

Alles lange vorbei. Derzeit muss sich Thomas Middelhoff mit Forderungen seiner Gläubiger herumschlagen. Von Gläubigern ist er geradezu umringt. Während er in den Prozessen von keinerlei Selbstzweifel geplagt ist, werden die Szenen für ihn immer unangenehmer.

„Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße.“ Der immerhin schon 61-jährige Thomas Middelhoff erzählte die Geschichte von seiner filmreifen Flucht gegenüber dpa nicht ohne Stolz.

Ereignet hatte sich das Ganze am vergangenen Freitag. Middelhoff hatte vor einem Gerichtsvollzieher in Essen seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen, im Volksmund nennt man so etwas einen Offenbarungseid.

Pleite? Er? Nein. Er kommt nur gerade nicht an sein Geld ran

So etwas ist schon im Normalfall nicht angenehm. Doch noch unangenehmer wurde der Termin für Middelhoff, weil vor der Tür Journalisten auf ihn warteten. „Vor dem Gerichtsgebäude lauerten Journalisten, die mich mit ihren Fotoapparaten abschießen wollten wie Freiwild“, erzählt er dpa. Das habe er sich und seiner Familie nicht antun wollen. Als er davon erfahren habe, habe er erst einmal nach einem Hinterausgang gefragt, erzählt der 61-Jährige. Doch gab es keinen. Da sei er auf die Idee gekommen, unbemerkt über das Garagendach und den Hinterhof zu verschwinden. Ein Mitarbeiter des Gerichts habe sogar noch nach einer Leiter gesucht, um ihm den Abstieg auf das Garagendach zu erleichtern, doch sie sei zu kurz gewesen. Da sei er einfach aus dem Fenster gesprungen. Nachdem er dann wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sei er „fröhlich pfeifend“ zu einer Nebenstraße gegangen. Dort habe er sich ein Taxi herbeigewinkt und sei dann später nach London geflogen. „Ich bin nicht vor den Fragen der Journalisten geflüchtet“, beteuert Middelhoff. Tatsächlich gibt er freimütig Auskunft über seine nicht ganz einfache Finanzlage. Nach seinen Angaben verlangt allein der Unternehmensberater Roland Berger 7,5 Millionen Euro von ihm, davon seien rund zwei Millionen Euro bereits durch Sicherheiten gedeckt. Sein früherer Vermögensverwalter Josef Esch fordere 2,5 Millionen Euro, der Arcandor-Insolvenzverwalter 3,4 Millionen Euro, die allerdings durch seine Managerversicherung abgedeckt seien, und die Bank Sal. Oppenheim rund 70 Millionen Euro. Er selbst fordere umgekehrt über 200 Millionen Euro, sagt Middelhoff. Auf die Frage: „Sind Sie pleite?“ erwidert Middelhoff gegenüber dpa: „Ganz klare Antwort. Nein.“ Sein Problem sei, dass er an seine Liquidität nicht herankomme, die von der Bank Sal. Oppenheim blockiert werde. Dazu erwarte er jedoch noch in diesem Jahr ein erstinstanzliches Urteil.

Er müsse deshalb Wege finden, wie er bestehende Forderungen bedienen könne. „Dazu bin ich gerne bereit. Und an der Umsetzung arbeiten wir mit Hochdruck.“ Middelhoff betont, er habe noch ausreichend andere Vermögenswerte.

Gerichtsvollzieher sind hinter Thomas Middelhoff her

In den vergangenen Monaten hatten wiederholt Gerichtsvollzieher den Untreue-Prozess gegen den Manager vor dem Essener Landgericht genutzt, um Middelhoff abzufangen und ihm Forderungen zu präsentieren. Und schon an diesem Montag könnte es erneut dazu kommen. Denn dem Vernehmen nach hat inzwischen auch sein früherer Vermögensverwalter Esch den Gerichtsvollzieher in Marsch gesetzt.

Am gestrigen Montag war wieder Gerichtstermin in Essen und es war klar, dass er da den Journalisten nicht entkommen konnte. Als Middelhoff aus der Limousine stieg, hatte er ein Handy am Ohr und hielt seinen Zeigefinger vor dem Mund. Im Gericht selber wurde dann ein anderes Detail näher erörtert: „Stau war das Schlimmste für ihn“, sage sein langjähriger Fahrer. Einmal sei Middelhoff sogar aus dem stehenden Fahrzeug gestiegen, um nach einer Möglichkeit zu suchen, anders ans Ziel zu kommen. Der Fahrer bestätigte Aussagen, dass Bauarbeiten am Kamener Kreuz zeitweise die Fahrzeiten von Middelhoffs Wohnsitz in Bielefeld zur Arcandor-Firmenzentrale in Essen deutlich verlängert hätten. Statt knapp zwei Stunden habe die Fahrt in Einzelfällen bis zu vier Stunden gedauert. Middelhoff hatte diese unkalkulierbaren Verzögerungen als Grund genannt, warum er 28-mal auf Firmenkosten Privatjets und Hubschrauber für die Strecke genutzt hatte. Die unkalkulierbaren Fahrzeiten seien für die Firma nicht hinnehmbar gewesen. Die Staatsanwaltschaft wirft Middelhoff vor, dem inzwischen pleitegegangenen Handelskonzern diese 80 000 Euro teuren Flüge zu Unrecht in Rechnung gestellt zu haben, da der Weg zur Arbeit grundsätzlich vom Arbeitnehmer selber zu tragen sei. (os/dpa)

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