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Panorama: Tiefgekühlt und abgetaut

Colin Woods hat die Schnauze voll. Über die Festtage zieht sich der 30-jährige britische Bankkaufmann in einen weihnachtssicheren Atombunker zurück.

Colin Woods hat die Schnauze voll. Über die Festtage zieht sich der 30-jährige britische Bankkaufmann in einen weihnachtssicheren Atombunker zurück. Der Zeitung "The Independent" verriet er, seine Abneigung gegen verkochten Truthahn, zänkische Verwandte und überflüssige Sockengeschenke sei so unüberwindlich, dass er es vorziehe, das Fest der Liebe in 30 Meter Tiefe zu verbringen. Möglicherweise eine gute Entscheidung, zumal Frau Holle mit Weihnachtsromantik für die Briten geizt. Allenfalls die schottischen Berge könnten in den nächsten Tagen etwas Schnee abbekommen, sagt Thomas Globig vom Wetterdienst Meteofax. "Weiße Weihnachten unterm Tower ist nicht", lautet sein Urteil.

Da haben es die Deutschen besser. Schon in der Nacht zu Freitag fiel pünktlich zum kalendarischen Winteranfang Schnee. Zunächst traf es den Norden und Osten. Für viele wurde der Weg zur Arbeit zu einer Mischung aus Rutschpartie und Geduldprobe, es gab aber nur vereinzelt leichte Unfälle. In Berlin herrschte Freitagmorgen zur Hauptverkehrszeit dichtes Schneetreiben.

Im Laufe des Tages bescherte das Tief "Laurin" dann auch dem Mittelgebirge und dem Süden eine Schneedecke. Von Vorpommern bis ins Rheinland wurde sie allerdings zu "Matsch und Patsch", weil die Temperaturen über Null lagen, sagt Globig. Am Wochenende jedoch werde uns eiskalte Luft aus der Arktis erreichen. "Das werden wir vor allem Sonntag und Heiligabend zu spüren bekommen." Weiße Weihnachten sind in Deutschland also offenbar sicher. "Wenn überhaupt, sind es nur sehr wenige Ecken, wie die Nordseegegend, die nicht weiß werden", verspricht der Meteorologe.

Weiß wurde es jetzt schon in Schweden. Dort schneite es am Freitag so heftig, dass in Stockholm zahlreiche Flüge ausfielen und im ganzen Land Eisenbahnlinien blockiert waren. Im Norden sind Zehntausende ohne Strom. Im Süden Europas kämpfen die Menschen trotz steigender Temperaturen weiter mit dem Winter. Im Nordwesten der Türkei gelang es Helfern nach tagelangen Räumarbeiten, 200 eingeschneite Dörfer zu erreichen. In Bulgarien sind noch immer viele Siedlungen bei 15 Grad unter Null von der Außenwelt abgeschnitten. Am Freitag erfror ein 18-jähriger Grenzsoldat in den Bergen, 175 Kilometer südlich von Sofia, als er zu Fuß zu seiner Einheit zurückkehren wollte. An der südspanischen Costa del Sol erfror ein 44-Jähriger unter einer Brücke. Er war bei Malaga aus einer psychiatrischen Klinik geflohen.

Doch allmählich entspannt sich die Lage. Auf den Straßen Jugoslawiens und Kroatiens behinderten Schnee und Eis nur noch in höheren Lagen den Verkehr. An der Adriaküste stiegen die Temperaturen über Null, so dass gesperrte Brücken wieder befahrbar waren. Trotzdem ist es noch zu früh für Entwarnung. Über Griechenland braut sich ein Tief mit viel Regen zusammen. "Da wird es noch mal sehr heftig, bevor sich das Wetter dann beruhigt", prophezeit Globig.

Schon für den Zweiten Weihnachtstag rechnet der Meteorologe mit einer "grundlegenden Umstellung des Wetters". Waren es bisher Tiefs aus Osteuropa oder Skandinavien, die kalte Luft nach Mitteleuropa brachten, kommen dann Tiefdruckgebiete vom Atlantik mit etwas wärmeren Temperaturen. "Der Winter wird in seine Ursprungsgebiete zurückgedrängt." Und dort ist es nach wie vor "knackig kalt". In Russland herschen im Schnitt 20 Grad unter Null, in Kiew war es am Freitag mit minus sechs Grad noch vergleichsweise warm. In Lappland wurden nachts minus 35 Grad gemessen. Seit sechs Tagen ist die Große georgische Heerstraße - die einzige Autoverbindung zwischen Russland und Georgien und Armenien - unpassierbar. Brot für die Eingeschneiten aus den umliegenden Dörfern wird knapp. Die Preise steigen daher fast stündlich. Donnerstagmittag kostete ein Laib Schwarzbrot 50 Rubel - siebenmal mehr als im teuren Moskau.

In weiten Teilen Sibiriens sind ganze Dörfer wegen gebrochener Rohre und knapper Kohlevorräte bei minus 35 Grad ohne Heizung und Warmwasser. Zentimeterdicker Schnee liegt sogar auf den Palmen in Sotschi am Schwarzen Meer. Dort sind im Dezember 11 bis 15 Grad plus normal. Zudem rissen unter der Schneelast auch Elektro-Überlandleitungen. Die 500 000 Einwohner-Stadt ist daher seit Montag ohne Strom und größtenteils auch ohne Wasser. Die Moskauer Stadtreinigung ist mit 7500 Schneepflügen inzwischen Tag und Nacht im Einsatz. Dennoch wird sie der Schneemassen, die mit Speziallastern auf Deponien außerhalb der Stadt gefahren werden, nicht Herr. Auf den Gehwegen friert zerlatschter Schnee zu einer buckeligen Piste fest, die selbst den Gang zum Bäcker in bedenkliche Nähe zu Extremsportarten rückt.

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