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Bobby Fischer

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Tod eines Schach-Mythos: Nachruf auf Bobby Fischer

Ohne Zweifel war Bobby Fischer die schillerndste Figur der Schachwelt. Gestern erlag er in seinem Haus in Reykjavik im Alter von 64 Jahren den Folgen einer Krankheit. Die Schachwelt verliert ihren größten Mythos.

Robert James Fischer war Exzentriker und Sadist, Genie und Antisemit. "Ich sehe gern, wie sie sich winden", hat er über seine Schachgegner gesagt, die er bereits in jungen Jahren reihenweise besiegte. Und: "Ich zerbreche das Ich des Anderen." Er hat wichtige Kämpfe in letzter Minute abgesagt, Preisgelder in astronomische Höhen getrieben, mit Hilfe von Rechtsanwälten die Beleuchtung bei Wettkämpfen ändern lassen, er konnte zickig und geheimnisvoll sein, diabolisch und unberechenbar.

Bevor er sich, um einer Haftstrafe in den USA zu entgehen, im März 2005 in Island niederließ, reiste er viel, mied die Öffentlichkeit, witterte Intrigen und fühlte sich permanent verfolgt. Dann stellte sich heraus: Der Paranoiker wurde tatsächlich verfolgt. Fast dreißig Jahre lang hatte die amerikanische Bundespolizei FBI ihn und seine Mutter bespitzelt. Besonders sie wurde verdächtigt, Agentin der Sowjets gewesen zu sein. Die Akten umfassen 750 Seiten. Das Material belegt, dass selbst amerikanische Volkshelden nicht davor gefeit sind, von ihrer Regierung ausspioniert zu werden. Das FBI hatte Geburtsurkunden überprüft, andere Schachspieler kontaktiert, die Post von Fischers Mutter gelesen, ihre Nachbarn ausgefragt, das Konto kontrolliert.

1958 hatte Fischer die US-Meisterschaften gewonnen - mit 14 Jahren. Die Presse schwärmte von dem "jungen Schachgott", der vielleicht eines Tages die Dominanz der Russen auf diesem Gebiet brechen könnte. Es war Kalter Krieg zwischen Ost und West. Wenn es einem Amerikaner gelingen könnte, im Duell der Köpfe die Sowjets zu entthronen, wäre das ein fantastischer Triumph. Das geschah schließlich 1972 im isländischen Reykjavik. Fischer wurde Weltmeister und der Wettkampf gegen Boris Spassky legendär. Dauernd stellte Fischer neue Honorarforderungen und trat zu fast jeder Partie verspätet an.

An Fischer schieden sich die Geister. Er hetzte gegen Frauen - "sie sind allesamt schwach, alle Frauen, im Vergleich mit den Männern sind sie dumm" - und gegen Juden - "es gibt zu viele Juden im Schach, sie haben dem Spiel seine Klasse genommen". Auch gegen "jüdische Diebe, Betrüger und Verschwörer" zog Fischer regelmäßig vom Leder. Denn er war - jedenfalls früher - Antisemit und Hitler-Verehrer. Im Frühjahr 1968, vier Jahre vor seiner Weltmeisterschaft, zog der damals 25-Jährige von New York nach Kalifornien. Dort liest er Hitlers "Mein Kampf". Gerüchten zufolge soll sogar ein Hitler-Porträt über seinem Bett gehangen haben. Fischers Hass prägt sich immer stärker aus. Im Mai 1999 sagt er in einem Radio-Interview auf den Philippinen: "Amerika ist völlig unter Kontrolle der Juden. Die Außenministerin und der Verteidigungsminister sind dreckige Juden." Er selbst werde von "CIA-Ratten, die für Juden arbeiten" verfolgt.

Pikant daran: Fischer selbst kam als Jude zur Welt. Seine Mutter, Regina Fischer, war eine Schweizer Jüdin, die in Moskau Medizin studiert hatte, acht Sprachen beherrschte und noch im Alter von 55 Jahren ihren Doktortitel an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena gemacht hatte. Und noch mehr Licht brachten die FBI-Akten in das biographische Dunkel, das Fischer stets umgab. Robert James kam am 9. März 1943 in Chicago zur Welt. Lange Zeit war angenommen worden, dass sein Vater ein deutschstämmiger Physiker namens Gerhardt Fischer war. Die FBI-Akten legen dagegen die Vermutung nahe, dass Bobbys Vater Paul Nemenyi war, ein ungarischer Mathematiker.

Seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft war Fischer auf der Flucht vor den Medien. Zwanzig Jahre lang hielt er sich vom Profischach fern - nichts konnte ihn zu einer Rückkehr bewegen. Millionenangebote von Organisatoren in Las Vegas oder Manila schlug er aus, auch wenn er finanziell ruiniert und in einer schwierigen Situation war. Der Titel wurde ihm schließlich aberkannt. Doch dann verliebte er sich. Aus einer Brieffreundschaft war eine Romanze geworden. Zita Rajcsanyi hieß das Mädchen, 18 Jahre alt, Schachspielerin aus Ungarn. Sie verehrte ihn. Das schmeichelte Bobby Fischer. Es ist das Jahr 1992.

Von ihr lässt er sich zu einem neuen Match mit Spassky überreden. Um insgesamt fünf Millionen Dollar wurde gespielt, der Sieger sollte 3,65 Millionen bekommen. Heikel indes war der Ort des Geschehens - Belgrad, Jugoslawien. Die Vereinten Nationen hatten Sanktionen gegen das Land verhängt. Kein Amerikaner durfte dort Geschäfte machen. Also ließ das Handelsministerium in Washington dem Schachspieler eine deutliche Warnung zukommen. Ein Rematch in Belgrad verstoße gegen den Regierungserlass mit der Nummer 12810. Die Strafe dafür betrage im Höchstfall zehn Jahre Haft plus 250.000 Dollar Bußgeld.

Fischer reiste trotzdem. Am 1. September gab er in Belgrad sogar eine Pressekonferenz. Ob er beunruhigt sei über die Drohung der US-Regierung? Er nimmt den Brief des Handelsministeriums aus seiner Tasche und sagt: "Dies ist meine Antwort auf ihre Anordnung, meinen Titel hier nicht zu verteidigen." Dann spuckt er auf den Brief. Seitdem wird er offiziell in den USA gesucht, reiste nicht mehr ein, sondern pendelt zwischen Ungarn, Japan und den Philippinen. Er konnte weder an der Beerdigung seiner Mutter noch seiner Schwester Joan teilnehmen.

Am 11. September 2001 wiederum war es Fischer persönlich, der bei einer obskuren Radiostation auf den Philippinen anrief. Das Genie war euphorisch. Die Anschläge auf das World Trade Center lobte er in den höchsten Tönen. "Das ist wunderbar. Amerika muss ein für allemal vernichtet werden", sagte der Fischer. "Die Amerikaner und Israelis haben jahrelang die Palästinenser abgeschlachtet, ausgeraubt und abgeschlachtet. Keiner hat sich darum gekümmert. Nun trifft es die USA selbst. Fuck the US. Amerika muss ein für alle Mal vernichtet werden."

Die Jagd nach ihm und seine Flucht gingen im Juli 2004 zu Ende. Auf dem Internationalen Flughafen von Tokio wurde der 61-Jährige festgenommen. Bald schon sollte er in die USA überführt werden, wo man ihm den Prozess machen wollte. In seinem Fall lagen Genie und Wahnsinn eben so nahe beieinander, dass die Polizei einschritt. Für acht Monate kommt er ins Gefängnis, als er entlassen wird, schimpft er auf US-Präsident George W. Bush, den er einen "Verbrecher" nennt.

Das, was man Heimat nennt, gab es für ihn wohl nie. Seine Heimat war das Schachspiel.

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