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Trauerfeier: Loki Schmidt: Der Stolz von Hamburg

Kühl nimmt der Hanseat das Schicksal hin, zu viel Gefühl ist in Hamburg verpönt. Doch bei der Trauerfeier für Loki Schmidt zeigt sich, dass es vor allem das herzliche Wesen der ehemaligen Kanzlergattin war, das ihre Wegbegleiter an ihr schätzten und jetzt vermissen.

Was war das nun – ein Staatsakt, eine Trauerfeier, ein Gottesdienst? Loki Schmidt hatte nie ein öffentliches Amt inne. Auch die Rolle der Frau an der Seite des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, die sie über viele Jahre war, ist nirgendwo staatlich-politisch ausgewiesen. Aber überwältigend viele, die in der Bundesrepublik Rang und Namen haben, waren gestern in die Hamburger St. Michaeliskirche gekommen. Die Bundeskanzlerin, die Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Horst Köhler, dazu Kanzler, Ministerpräsidenten und Minister sowie alles, was in Hamburg Rang und Namen hat, versammelten sich in dem weiten Rund, um von ihr Abschied zu nehmen. War es also eine Trauerfeier, die ein Staatsakt war, und doch auch ein Gottesdienst? Oder war es am Ende – nimmt man das Echo auf ihren Tod – Deutschland, das um sie trauerte?

Es war, das muss man festhalten, auch eine sehr hamburgische Veranstaltung. Die Freie und Hansestadt hat in der Vergangenheit auf vergleichbare Weise von großen Mitbürgern Abschied genommen, sofern diese es sich als Ehrenbürger der Stadt gewünscht hatten. Marion Gräfin Dönhoff und Rudolf Augstein hat sie so im weißen Rund des Hamburger Michels in Trauer gedacht, feierlich und selbstbewusst und doch in einer bewegenden, bürgerschaftlichen Intimität. Die Hamburger rückten Loki Schmidt damit in die Reihe der großen Bürger der Stadt. Die Formulierung, sie sei in den letzten Jahren zur „Mutter der Stadt“ geworden, der alle Respekt und liebevolle Zuneigung entgegenbrachten, stammt von Klaus von Dohnanyi, dem früheren Bürgermeister. Und dass 1200 Hamburger neben den Spitzen von Politik, Wirtschaft und Kultur der Feier beiwohnten, unterstreicht ihre Verwurzelung im Gefühl der Stadt.

Diese Stunde wird zu einem bewegenden Zeugnis einer gemeinsamen emotionalen Bewegung, in der sich Trauer, Hochachtung und Verbundenheit vermischen. Sie trifft tief mit den Bildern, in denen sie sich mitteilt. Mit der großen weiß-goldenen Muschel der Kirche. Mit dem in Trauer versunkenen, schmerzgezeichneten Helmut Schmidt, die Hände mit den beiden Eheringen auf dem Stock, nur gelegentlich das Hörgerät regulierend. Bis bei ihm dann, gegen Ende, doch die Tränen durchdringen und die Tochter Susanne ihren Kopf an den seinen legt. Und mit dem Bild von Loki Schmidt neben dem blumenbeladenen Sarg: eine lebensfrohe Frau, mit der charakteristischen Augenpartie und einem heiteren Lächeln, ein Gran Verschmitztheit in den Mundwinkeln.

Es gehört dazu die h-Moll-Suite von Johann Sebastian Bach, die, immer wieder nach Gebeten und Reden anhebend, der Trauerfeier den Grundton gibt. In dem Geflecht der Melodielinien ist – so mag man meinen – viel von der Verstorbenen: ihre Lauterkeit und Menschlichkeit, ihre Empfindsamkeit und Strenge, ihr Mut und ihre Lebenszugewandtheit. Aber es ist dann an Henning Voscherau, früherer Bürgermeister und Freund von Helmut und Loki Schmidt, diese Charakterzüge in seiner Rede behutsam zusammenzufügen – zum Bild einer Frau, die aber eben auch von zu Herzen gehender norddeutscher Nüchternheit gewesen sei, „immer geradeheraus, auch ein bisschen keck“.

Die Trauerfeier hatte ganz als Gottesdienst begonnen. Der Hannoveraner Altbischof Eduard Lohse hält die Predigt: auch sie norddeutsch zurückgenommen, ganz auf das Bibelwort des 90. Psalms gestellt, in dem davon die Rede ist, dass das Leben 70 oder 80 Jahre währe. Loki Schmidt hat das mit ihren 91 Jahren weit überboten. Der Erste Bürgermeister Christoph Ahlhaus, eben erst ins Amt gekommen, spricht die klassischen Formeln, mit denen ein Gemeinwesen verdiente Bürger ehrt: Loki Schmidt habe sich „in hohem Maße um die Stadt und das Land verdient gemacht“. Aber es klingt nicht wie ein Ritus, als er fortfährt und von „unserer“ Loki Schmidt spricht, die „Hamburgerin durch und durch“ gewesen sei, die so stolz war, als sie Ehrenbürgerin wurde – während doch „die Menschen in unserer Stadt stolz sind auf ihre Loki Schmidt“.

Es gehört zu den berührendsten Momenten dieser Stunde, wie ein ganzes Leben und eine Zeit nochmals sichtbar werden. Das ist vor allem das Verdienst von Henning Voscherau. Der frühere Bürgermeister spricht ohne Pathos, ja, gelegentlich nüchtern, aber zugleich auch den Tränen nahe. Tatsächlich haben sich in dieser Frau ein individuelles Schicksal und ein Stück Sozialgeschichte zu einem außerordentlichen Leben vereinigt. Die Herkunft aus kleinen, bitterarmen Verhältnissen, aus denen sie sich, ein Kind der selbstbewussten Arbeiterbewegung, befreit hat. Der eiserne Fleiß und die Zielstrebigkeit, mit der sie zur Lehrerin wurde und diesen Beruf mit Hingabe und Begeisterung ausgeübt hat. Bis der Wechsel ihres Mannes an die Spitze des Verteidigungsministeriums sie zwang, den Beruf aufzugeben. Aber sie ersetzte diesen durch ihre von früher Kindheit an gärende Leidenschaft für Blumen und Pflanzen, die sie zur Forscherin machen sollte und ihr schließlich zahlreiche Ehrungen, den Professorentitel und den Ehrendoktor eingebracht haben. Gerade auf diesem Gebiet habe sie sich, sagt Voscherau, nicht nur ein Denkmal gesetzt, sondern viele.

Nicht zuletzt ist es ihre bald 70 Jahre währende Ehe mit Helmut Schmidt, die ihr, je länger, desto mehr, Bewunderung und Zuneigung verschafft hat. Es ist dieses Zusammenhalten in gegenseitiger Freiheit, das in den Würdigungen und Betrachtung zu ihrem Tode die Herzen bewegt, Philemon und Baucis an der Elbe Auen, das „alt gewordene Hamburger Liebespaar“, wie Voscherau es nennt, freundschaftlich-mitfühlend zu Helmut Schmidt gewandt. Auch diese Ehe, ja, sie vor allem, dieses Verstehen und Verbundensein über die Jahrzehnte, gehört zu den Beispielen, die Loki Schmidt gegeben hat und die sie für viele zum Vorbild gemacht hat. Davon berichtet die herzbewegende Geschichte, die Voscherau von Loki Schmidts Krankenbett erzählt: wie die beiden bald 90-Jährigen von dem Kreuzbeinbruch, den Loki sich zugezogen hatte, im Gespräch zu den Kreuzbeinen der Vögel kommen und sich, unverdrossen wissbegierig, vornehmen, sich kundig zu machen.

Der Altbundeskanzler folgte der Trauerfeier in bewundernswerter Fassung. Nur die Hand hielt er sich gelegentlich vor die Augen. In welche Einsamkeit mag ihn der Tod seiner Frau nach 80-jähriger Verbundenheit stoßen! Aber es verriet etwas von dem menschlichen Umfeld, dass Loki und Helmut Schmidt umgibt, dass Voscherau die Frage, wie Schmidt über den Verlust hinwegkommen könne, mit der anrührenden Bitte verband: Da musst du uns helfen.

Es passt zu diesem Eindruck der Bestürzung, dass Hamburg, wie der Erste Bürgermeister Ahlhaus sagte, mit Loki Schmidts Tod ein Stück ärmer geworden ist. Der Rest ist eine Beerdigung auf einem Hamburger Friedhof, den die Familie für sich bewahrt und von dem die Öffentlichkeit ferngehalten wird.

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