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Trauma: "Wie der 11. September"

Die Margala Towers sind ein vornehmer Appartementkomplex in Islamabad. Khalim Dil Khan lebt gegenüber. Als er Samstag früh seine Vorhänge öffnet, sieht er den zehnstöckigen Mittelteil des Gebäudes in sich zusammenbrechen.

Neu Delhi/Islamabad - «Es war wie der 11. September», sagt Khan der BBC. «Es war traumatisch, ein unglaublicher Schock.» Am Sonntag nennt der pakistanische Präsident Pervez Musharraf das Erdbeben mit wohl zehntausenden Toten die vielleicht schlimmste Katastrophe in der Geschichte seines Landes. Vor allem in Kaschmir, der wegen des indisch-pakistanischen Konflikts ohnehin gebeutelten Unruheregion, haben die Erdstöße Opfer gefordert.

In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad sind Rettungskräfte auch aus dem Ausland schnell zur Stelle. Der Schutthaufen, der einst Teil der Margala Towers war, ist so gigantisch, dass die Helfer darauf wie Ameisen wirken. Verzweifelte Angehörige haben sich vor dem Berg aus Geröll eingefunden und beten darum, dass die Rettungskräfte ein Lebenszeichen von ihren Nächsten aus den Trümmern vernehmen - und sie daraus bergen können. Mit jedem Überlebenden, der unter dem Beifall der Umstehenden gerettet wird, erhält die Hoffnung auf ein Wunder neue Nahrung. Doch es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Diesen Wettlauf drohen vor allem die Betroffenen in den entlegenen Bergregionen in Kaschmir und anderen Teilen Nordpakistans zu verlieren. Als das Ausmaß der Katastrophe immer deutlicher wird, bittet Musharraf das Ausland verzweifelt um medizinische Hilfe, um Rettungskräfte und um Transporthubschrauber. Die pakistanische Armee hat den größten Hilfseinsatz ihrer Geschichte begonnen.

Trotzdem sind auch mehr als 24 Stunden nach dem Beben weite Teile der Katastrophenregion von der Außenwelt abgeschnitten. Straßen sind unter Geröllmassen verschüttet, viele Dörfer, von denen das Beben manche regelrecht von der Landkarte gelöscht haben soll, sind nur per Helikopter erreichbar. Auf dem Land baut die Bevölkerung mit Lehm, die einfachen Hütten sind alles andere als erdbebensicher. Niemand weiß, wie viele Menschen verzweifelt auf lebensrettende Hilfe warten.

Auch in Muzaffarabad, der Hauptstadt des pakistanischen Teils Kaschmirs, sind von den meisten Häusern nur Schutthaufen geblieben. Dort starben 500 Kinder in den Trümmern ihrer Schule. Das Epizentrum des Bebens, des stärksten in der Region seit einem Jahrhundert, lag nahe der Demarkationslinie, die Kaschmir durchschneidet. Auch zahlreiche Soldaten sollen in ihren Stellungen verschüttet worden sein. Seit 1947 führten Indien und Pakistan zwei Kriege um Kaschmir. Im indischen Teil, wo auch Erdbebenopfer zu beklagen sind, kämpfen muslimische Extremisten seit 1989 gegen die indische Armee. Nun hat die Naturkatastrophe zusätzliches Leid über Kaschmir gebracht.

Doch vielleicht sorgt das Beben nun für weitere Annäherung zwischen Indien und Pakistan, die seit Anfang vergangenen Jahres zäh verlaufende Friedensgespräche führen. Vielleicht liegt damit auch ein Funken Hoffnung in dem Elend - wie im indonesischen Aceh, wo die Tsunami-Katastrophe Ende vergangenen Jahres Rebellen und Regierung zu Verhandlungen bewegte. Der indische Premierminister Manmohan Singh hat dem früheren Erzfeind Pakistan bereits Hilfe in der Not angeboten. Musharraf hat sich dafür öffentlich bedankt. Zwar sei das Angebot etwas heikel, sagte er. Man werde es aber prüfen. (Von Can Merey, dpa)

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