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Panorama: Troia: Am Anfang war das Wort Homers

Troia, bilanziert Michael Siebler am Ende seines Büchleins, sei eine "Glaubenssache". Das kann man wohl sagen.

Troia, bilanziert Michael Siebler am Ende seines Büchleins, sei eine "Glaubenssache". Das kann man wohl sagen. Deshalb darf man sich auch nicht über den zuweilen eifernden Ton wundern, den die Glaubenskontrahenten anschlagen. Vor allem der Klassische Archäologe Dieter Hertel lässt kaum eine Gelegenheit aus, sarkastische Pfeile gegen seinen Kollegen Manfred Korfmann abzuschießen, der seit Ende der achtziger eine großangelegte Grabungskampagne in der Troas durchführt.

Seit Schliemann das, wie er meinte, homerische Troia freilegte, tobt ein erbitterter Kampf um Troia. Die Mehrzahl der Altertumswissenschaftler, an der Spitze der renommierte Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, vertrat schon bald nach Schliemanns sensationellen Funden die Auffassung, dass der von diesem ausgegrabene Ort in keiner Beziehung zu jenem Versepos stehe, welches unter dem Namen Ilias dem Dichter Homer zugeschrieben wird. Jenes Epos aus dem 8. vorchristlichen Jahrhundert sei nichts als eine Dichtung, deren von Schliemann behaupteter historischer Kern - ein Krieg zwischen mykenischen Griechen und Trojanern im 13. Jahrhundert v. Chr., der mit dem Untergang der Stadt endete - nicht nachgewiesen werden könne.

Durch die ausgedehnten Grabungen Korf- manns, dessen Leistungen in den Darstel- lungen von Siebler und Joachim Latacz ausführlich gewürdigt werden, hat die Auseinandersetzung um Troia insofern eine neue Qualität angenommen: Korfmann fasste das Troia-Problem nicht, wie bis dahin üblich, aus der Perspektive des Westens, also von Griechenland her, ins Auge, sondern aus östlicher, anatolischer Sicht. Damit rückte die wie immer hypothetische Möglichkeit in den Vordergrund, dass die Burg Troia, zu der auch eine ausgedehnte Unterstadt gehörte, politisch, ökonomisch und kulturell dem Umkreis des hethitischen Reiches angehörte. Vor allem Latacz, einer der besten Troia-Kenner, erhärtet in seinem skrupulös gearbeiteten Buch anhand von Ausgrabungsfunden und Schriftzeugnissen detailliert die Korfmannsche Hypothese, wonach Troia dank seiner strategischen Lage am Hellespont ein bedeutendes Zentrum für Handel und Schiffahrt war, das sich an seinem anatolisch-hethitischen Hinterland orientierte. Wenn Troia tatsächlich identisch ist mit jenem "Wilusa", das in einem aufgefundenen hethitischen Dokument erwähnt wird und von dem Korfmann wie Siebler und Latacz mit Gründen annehmen, dass es sich dabei um Troia handelt, dann wäre der lange dominanten graecozentrierten Troia-Interpretation endgültig der Boden entzogen.

Von all dem hält Hertel gar nichts. So wie er die Identität von Troia und Wilusa be- streitet, so auch, dass der troianische Apollonkult aus dem Inneren Klein- asiens importiert worden sei, wie Korfmann und Siebler behaupten. Apollon, so Hertel, sei "ein rein griechischer Gott", der "auch von modernen Wissenschaftlern nicht zwangsweise umgesiedelt werden" sollte. Dem Laien bleibt es bei diesem "Glaubenskampf" überlassen, für welche Lesart er sich entscheiden will. Der von Latacz und Siebler immerhin für möglich gehaltene historische Hintergrund der Ilias, also ein Krieg zwischen asiatischen Troianern und mykenischen Griechen, womit sie der alten Schliemann-Linie folgen, ist und bleibt eine Spekulation. Latacz wundert sich selber darüber, dass die Großmacht Mykene, die um das Jahr 12oo vollständig zusammenbrach, ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt in der Lage gewesen sein soll, eine militärische Kraftprobe solchen Ausmaßes, wie sie von Homer geschildert wird, an der kleinasiatischen Küste zu wagen. Gleichwohl hält er, sich auf die "Fülle der Indizien" berufend, an der historischen Wahrscheinlichkeit eines solchen Krieges fest. Dagegen setzt Hertel sein lapidares Fazit, der "mögliche", nicht wirkliche historische Kern liege allenfalls in der Erinnerung an einen vergeblichen Einbruch von Griechen in das Skamandertal.

Dass der Glaubenskrieg um Troia mit solcher Erbitterung geführt wird, hat vermutlich damit zu tun, dass die Namen Troia und Homer für den europäischen Ursprungsmythos schlechthin stehen. Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Homer, und Homer war das Wort. Wer die sagenhafte Geschichte des Krieges um den Besitz der schönsten Frau der Welt sich interpretatorisch so anzuverwandeln vermag, dass er die Deutungshoheit gewinnt, gewinnt beides - Troia und Helena. Im Moment sieht es so aus, als werde Manfred Korfmann den begehrten Preis davontragen.

Hans-Martin Lohmann

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