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Türkei: Pfuschende Lehrer, blamierte Beamte

Dass manche Schüler bei wichtigen Prüfungen schummeln, ist auch in der Türkei bekannt. Dass aber angehende Lehrer gleich zu Tausenden versucht haben sollen, eine Prüfung mit Pfusch zu bestehen, sorgt für einen Skandal.

Gegen mehr als 3000 Beamtenkandidaten wird in Ankara ermittelt, weil sie bei einem Einstellungstest für die Aufnahme in den Staatsdienst gemauschelt haben sollen. Möglicherweise hatte ein Mitarbeiter des staatlichen Prüfungsinstituts ÖSYM eine Liste mit mehreren hundert Fragen des Multiple Choice Tests mehrere Wochen vor dem Termin für viel Geld verkauft. Bis zu 10.000 Dollar pro Exemplar sollen Interessenten dafür gezahlt haben. Nun können zehntausende Lehrer und andere Beamte nicht eingestellt werden.

An dem "Auswahltest für Staatspersonal" (KPSS) hatten am 10. und 11. Juli mehrere hunderttausend Universitätsabsolventen teilgenommen. Viele von ihnen wollten sich mit der Prüfung für Lehrerstellen an staatlichen Schulen empfehlen: krisensichere Jobs mit Pensionsgarantie, für viele arbeitslose Akademiker ein Traum.

So mancher scheint nachgeholfen zu haben, aus dem Traum auch Wirklichkeit werden zu lassen. Bei der Durchsicht der Prüfungsunterlagen fiel den staatlichen Testern auf, dass einige hundert Bewerber alle 120 Fragen des Pädagogik-Teils der Prüfung völlig fehlerfrei beantwortet hatten. Allein das ist außergewöhnlich. Als sich dann noch herausstellte, dass viele der erfolgreichsten Prüflinge entweder Ehepaare, sonstige enge Verwandte oder aber Nachbarn waren, wurde der Verdacht zur Gewissheit.

"Wir konnten es nicht glauben", sagte ein ÖSYM-Vertreter dem türkischen Nachrichtensender NTV. Einige Püflinge hatten alle 120 Mathematik-Fragen des Tests fehlerfrei gelöst – "ohne auch nur einmal etwas auszuradieren". Rund 3200 verdächtig gute Prüfungsergebnisse werden unter die Lupe genommen, Bildungsbehörden, die Staatsanwaltschaft und sogar der türkische Geheimdienst jagen die Schuldigen.

Mehr als 40 Menschen wurden in den vergangenen Wochen festgenommen, doch einen Durchbruch gab es noch nicht. Einige Prüflinge mit hundertprozentiger Erfolgsquote wiesen die Pfusch-Vorwürfe als Ausdruck des Neids weniger kluger Köpfe zurück.

Bei anderen wurden zwar Hinweise darauf gefunden, dass sie die Fragen vor der Prüfung per E-Mail erhalten hatten – "Hier ist ein Geschenk für Dich", soll der Titel einer Mail gelautet haben. Den letzten Beweis, dass die Betroffenen die Mails vor dem Tag der Prüfung öffneten, konnten die Behörden aber nicht führen. Medienberichte über merkwürdig enge Verbindungen zwischen ÖSYM-Mitarbeitern und privaten Paukschulen, die Prüflinge gegen Gebühr auf Tests wie den KPSS vorbereiten, machen die Runde.

Weil der Skandal noch nicht aufgeklärt ist, verschob das Bildungsministerium kurz vor Beginn des neuen Schuljahres die Einstellung von 30.000 dringend benötigten Lehrern auf unbestimmte Zeit. Man wolle nicht das Risiko eingehen, Pfuscher auch noch zu belohnen, hieß es in Ankara. Zwölf weitere staatliche Prüfungen, bei denen es unter anderem um die Einstellung von Amtsärzten und Finanzexperten geht, wurden ebenfalls vertagt. Die Behörden befürchten, auch bei diesen Tests könnte es Maulwürfe in den Reihen des ÖSYM geben. Möglicherweise muss der KPSS annulliert und wiederholt werden.

Für die Regierung ist das Ganze äußerst peinlich. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem Schatten, der auf die Beamtenauswahl gefallen sei. Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu äußerte sich weniger zurückhaltend und sagte, so lange wie die Erdogan-Regierung an der Macht sei, "wird eben alles geklaut, ist überall Korruption".

Und ständig gibt es neue Enthüllungen. Im südtürkischen Adana wurden vier Verdächtige in Untersuchungshaft gesteckt, die bei staatlichen Prüfungen so genannte "Joker" vermittelt haben sollen. "Joker" sind Spezialisten, die mit Hilfe gefälschter Papiere und für einen hohen Preis anstelle ihrer Auftraggeber an Prüfungen teilnehmen. Auch beim KPSS-Test sollen "Joker" im Einsatz gewesen sein. Ihre Gage: umgerechnet 5000 Euro.

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