zum Hauptinhalt
Sicherheitskräfte beendeten die Geiselnahme. Sie erschossen den Geiselnehmer.

© rtr

Update

Türkei: Sicherheitskräfte erschießen kurdischen Geiselnehmer

Zwölf Stunden hatte ein kurdischer Geiselnehmer 24 Menschen an Bord eines Schiffes im Marmara-Meer in seiner Gewalt. Möglicherweise wollte er die Insel ansteuern, auf der PKK-Chef Öcalan inhaftiert ist.

Es war kurz vor sechs am Samstagmorgen, und Mensur Güzel wurde allmählich müde. Seit fast zwölf Stunden hielt der 27-jährige Kurde die Personenfähre „Kartepe“ in seiner Gewalt. Nach einer Irrfahrt über das Marmara-Meer südlich von Istanbul, immer umringt von Booten der türkischen Küstenwache, war die „Kartepe“ mit ihren 18 Passagieren und ihrer sechsköpfigen Mannschaft vor der Stadt Silivri, westlich von Istanbul, vor Anker gegangen, weil der Treibstoff ausging. Gürel war zermürbt, physisch und psychisch am Ende, wie der türkische Innenminister Idris Naim Sahin später sagen sollte. Auf diesen Moment hatten die türkischen Spezialkräfte gewartet.

In seinen langwierigen Verhandlungen per Telefon mit den türkischen Sicherheitsbehörden hatte Güzel neuen Diesel für das Schiff verlangt, doch die Polizei forderte, er solle sich ergeben. Die Verhandlungen auf der Brücke der „Kartepe“ zogen sich hin, die letzte Gesprächsrunde dauerte mehr als eine Stunde. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Elitesoldaten, die sich mit Zivilkleidung als Passagiere tarnten, enterten das Schiff, erschossen Güzel und befreiten die unverletzt gebliebenen Geiseln. Passagiere berichteten von fünf oder sechs Schüssen, die zu hören gewesen seien. Innerhalb weniger Minuten war alles vorbei.

Nach der geglückten Geiselbefreiung lobten türkische Staatsvertreter wie Sahin das Vorgehen der Behörden und den professionellen Einsatz der Soldaten. Doch eine große Frage blieb unbeantwortet, als die „Kartepe“ den nächsten Hafen ansteuerte: Was wollte Güzel eigentlicht mit seiner Aktion erreichen?

Der 27-jährige sei ein „Kind armer Leute“, das sich von der kurdischen Rebellengruppe PKK habe blenden lassen, sagte Minister Sahin. Im türkischen Nachrichtensender NTV bezeichnete Sahin den Schiffsentführer als Chef der PKK-Jugendorganisation von Kocaeli, einer Stadt am Südufer des Marmara-Meeres. In der Gegend hatte am Freitagabend die Fahrt der „Kartepe“ begonnen. Kurz nach dem Ablegen brachte Güzel das Schiff in seine Gewalt und sagte, er trage eine Bombe bei sich. Minister Sahin sagte, an Güzels Leiche seien drei Pakete mit insgesamt fast 1,5 Kilogramm Plastiksprengstoff gefunden worden.

Für die PKK hat Imrali eine ganz besondere Bedeutung

Offiziell wurde nichts über politische Forderungen des Entführers bekannt, doch der Kurs, den er der „Kartepe“ diktierte, sprach eine eindeutige Sprache. Als der Personenfähre bei Silivri der Sprit ausging, hatte sie nach Medienberichten gerade nach Süden gedreht: in dieser Richtung, etwa 100 Kilometer von Silivri entfernt, liegt die Gefängnisinsel Imrali, wo seit 1999 der PKK-Gründer Abdullah Öcalan einsitzt.

Öcalan war gleich nach seiner Festnahme in Kenia vor zwölf Jahren auf die Gefängnisinsel gebracht worden, weil diese als sicherer gilt als alle Gefängnisse an Land. Soldaten bewachen die Insel ständig, das Gebiet um das Eiland ist für den Schiffsverkehr gesperrt, um möglichen Befreiungsaktionen von vorneherein keine Chance zu geben. Am Freitagabend wurden die Sicherheitsvorkehrungen auf Imrali laut Medienberichten noch einmal verschärft, weil die Behörden befürchteten, Güzel könnte versuchen, die Insel mit der „Kartepe“ zu erreichen.

Für die PKK hat Imrali eine ganz besondere Bedeutung, weil Öcalan nach wie vor als Anführer der Kurdenrebellen gilt. Unter anderem auf Druck des Europarates hat Ankara die Haftbedingungen für den PKK-Chef in den vergangenen Jahren mehrmals gelockert. Nachdem Öcalan mehr als zehn Jahre lang der einzige Häftling auf Imrali war, wurde seine Einzelhaft im Jahr 2009 durch die Verlegung anderer Gefangener auf die Insel beendet.

Die Haftbedingungen für Öcalan sind immer wieder Anlass für Proteste der Kurden. In jüngster Zeit hatte Ankara die sonst regelmäßigen Besuche der Öcalan-Anwälte auf der Insel gestoppt. Möglicherweise wollte der Schiffsentführer Güzel mit einer spektakulären Aktion gegen diese Kontaktsperre protestieren.

Auf Twitter hatten PKK-Anhänger die Entführung der „Kartepe“ am Freitagabend begeistert kommentiert, weil auch sie davon ausgingen, das Güzel nach Imrali wollte. Nach seinem Tod wurde Güzel von der PKK-Gefolgschaft umgehend zum Märtyrer erklärt. Der Entführer sei unbewaffnet gewesen, hieß es in Twitter-Botschaften - und von den Türken „hingerichtet“ worden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false