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Panorama: U-Boot "Kursk": "25 000 Tote sind gar nichts" - Von der Haltung russischer Militärs und dem Zustand ihrer Armee

Frank Umbach erzählt die Geschichte nicht, um zu generalisieren. Das will er nicht.

Frank Umbach erzählt die Geschichte nicht, um zu generalisieren. Das will er nicht. Er erzählt sie, um zu veranschaulichen, wie russische Militärs denken. Umbach ist Militärexperte für Russland am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. In den USA besichtigte er vor einiger Zeit zusammen mit amerikanischen Militärexperten und dem stellvertretenden russischen Generalstabschef Manilow in der Nähe von Washington ein altes Schlachtfeld aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges. 25 000 Menschen seien damals umgekommen, erzählte man Manilow. Der antwortete: "Das ist gar nichts."

Für russische Militärs, das soll die Anekdote aussagen, zählt ein Soldatenleben nicht viel. Prägend für diese Haltung war die Erfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg: Vor allem mit Masse gelang es der Roten Armee, die Deutschen zurückzuwerfen. 20 Millionen sowjetische Soldaten bezahlten das mit ihrem Leben. Von Marschall Schukow ist der zynische Spruch überliefert: "Die Frauen werden schließlich Neue gebären."

Ein aktuelles Beispiel für diese Haltung ist der Tschetschenien-Krieg. Dort werden Operationen nicht richtig durchgeplant, um eigene Verluste zu reduzieren. Dort fehlt es an ausgebildeten Kräften, so dass die nicht regulären Streitkräfte aus dem Bestand des Innenministeriums in Tschetschenien kämpfen müssen. Es fehlt dort an Material und auch an der Motivation. Denn auf den Sold müssen die Soldaten lange warten. Ein anderes Beispiel ist der tragische Fall der "Kursk". Unter normalen Bedingungen hätten die Verantwortlichen Militärs die "Kursk" nie ohne Akkumulatoren auslaufen lassen dürfen. Diese treten in Funktion, wenn die Kernreaktoren ausfallen und sorgen dafür, dass die Energie- und Sauerstoffzufuhr erhalten bleibt. Doch die russische Armee muss sparen, und so lief die "Kursk" ohne die Akkumulatoren aus - mit den vermutlich tödlichen Folgen für den Teil der 118 Besatzungsmitglieder, der nicht bereits bei der Explosion ums Leben kam.

Modernes Gerät geht nach China

"Nicht zufällig haben wir von der Flottenleitung verschiedene Vorschläge zur Bergung des Bootes gehört, aber so gut wie keinen zur Rettung der Mannschaft. Die Technik ist ihnen eben teurer", klagte die Internet-Zeitung "Vesti". Präsident Putin hat noch bei seinem Amtsantritt getönt, er werde das russische Militär zur alten Stärke führen. Waren das nur leere Phrasen? Das Militär, die Ausrüstung, die Soldaten: Sie sind in einem erbärmlichen Zustand. Und das ist nicht von heute auf morgen zu ändern.

Nächstes Beispiel: die Pazifik-Flotte. Moskau habe immer gern angegeben, dort rund hundert Schiffe im Einsatz zu haben. "Das ist eine Papierzahl", sagt Umbach. Faktisch seien davon nur noch 30 bis 40 Prozent einsetzbar. Es gibt keine Ersatzteile, keine Wartung, keine geordnete Ausbildung. Alle neuen Waffensysteme, die Russland heute produziere, produziere es nicht für sich selbst, sondern für den Export: Das moderne Gerät geht nach Indien und nach China. 1998 forderte das Verteidigungsministerium rund 310 Milliarden Rubel für die Armee, das Parlament bewilligte davon gerade einmal 94,5 Milliarden Rubel. "Und davon hat die Regierung kaum etwas ausgezahlt, weil das Land eben pleite ist", sagt Umbach. So kommt es, dass die die Nordmeer- und Pazifikflotte der einstigen Weltmacht mit rostenden Kreuzern und U-Booten fahren muss.

Wegen des Geldmangels zählen nicht nur die Mannschaften, sondern selbst die mittleren Offiziersränge zu den Unterpriviligierten. Hungernde Rekruten sind keine Seltenheit. 94 000 Angehörige der Streitkräfte haben für sich und ihre Familien nicht einmal eine Unterkunft. Moskau schuldet seiner Armee 7,5 Milliarden Rubel Sold.

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