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Eine Mauer an der Küste der Stadt Ofunato in der Provinz Iwate in Japan. Das Bauwerk soll die Bewohner vor Flutwellen schützen.

© Masahito Abe/dpa

Umstrittene Betonwände sollen Tsunami abwehren: Japans große Mauer

Vor knapp vier Jahren verwüstete ein gewaltiger Tsunami in Folge eines schweren Erdbebens weite Gebiete im Nordosten Japans. Um die Küsten besser zu schützen, plant der Staat nun riesige Betonmauern.

Masahito Abe blickt über die sanften Meereswogen Vor fast vier Jahren tobte hier die Hölle. Am 11. März 2011 löste ein Erdbeben der Stärke 9,0 einen gigantischen Tsunami aus, der Abes Heimatort Koizumi und Hunderte andere Gemeinden entlang der japanischen Nordostküste ausradierte und fast 19 000 Menschen in den Tod riss. Vor Koizumi in der mit am schwersten betroffenen Provinz Miyagi bäumte sich die Welle bis zu 23 Meter hoch auf, 40 der 1800 Dorfbewohner kamen ums Leben. Um Japans Küsten gegen künftige Tsunami zu schützen, plant der Staat nun den Aus- und Neubau Hunderter Betonmauern. Allein Miyagis 830 Kilometer lange Küste soll zu rund 30 Prozent mit Beton abgeschirmt werden. 

Die Mauer ist nur halb so hoch wie die Welle des Tsunamis vor vier Jahren

Doch Kritiker halten „Japans große Mauer“ für höchst zweifelhaft. „Was für ein Blödsinn“, schimpft Abe gegen das in Koizumi geplante rund 22 Milliarden Yen (156 Millionen Euro) teure Betonbollwerk, das mit einer geplanten Länge von 800 Metern eines der größten der in Miyagi geplanten Einzelprojekte ist. Nicht nur wäre die Mauer mit einer Höhe von 14,7 Metern nur etwa halb so hoch wie der Tsunami vor knapp vier Jahren. Vielmehr gebe es gar nichts mehr wirklich zu schützen, denn schließlich werde Koizumi drei Kilometer landeinwärts wiederaufgebaut und sei damit sicher vor einem Tsunami. Die derzeit noch in Behelfsunterkünften untergebrachten Bewohner könnten in Kürze mit dem Neubau ihrer Häuser beginnen. 

Der Schullehrer, der aus Sorge um Tsunamis schon vor über einem Jahrzehnt sein Haus auf einer sicheren Anhöhe neu errichtet hatte, befürchtet eine verheerende Zerstörung der Ökosysteme durch das Betonbollwerk. In den vom Tsunami überfluteten Gebieten in Koizumi lebten allein mehr als 100 Tierarten. Der Tsunami hat die Küstenlinie verändert und den Strand abgesenkt. „Das ist die Natur. Die Spuren des Tsunami sollten so belassen werden, damit künftige Generationen hier aus den Erfahrungen lernen“, sagt Abe.

Die Mauern könnten den Menschen bei der Flucht auch im Weg stehen

Dank der Artenvielfalt könne die Region auch Touristen anziehen. Die Mauer würde dagegen die Umwelt völlig verschandeln. Kritiker wie Abe warnen zudem vor einem trügerischen Sicherheitsgefühl durch die Betonmauern. Zwar gibt es Beispiele, wo bei der Tsunami-Katastrophe 2011 bereits zuvor betonierte Küstenschutzwälle Menschenleben gerettet haben. In anderen Fällen aber kamen Menschen gerade deswegen ums Leben, weil sie nicht rechtzeitig flüchteten, sondern sich auf die Tsunami-Schutzmauern verließen, die jedoch den  gewaltigen Fluten nicht standhielten. Tatsuya Sato, Leiter der zuständigen Baubehörde, lässt all diese Argumente nicht gelten. Koizumi stelle eine Gefahrenzone dar.

„Es gibt große Agrarflächen sowie Wasserversorgungsanlagen, eine Lachszucht, die Landstraße 45 sowie eine Bahnlinie“, erklärt er. Hinzu komme unter anderem ein Altersheim, ein Tempel und ein Kindergarten, der in Katastrophenfällen als Notunterkunft gebraucht würde. „Aus diesem Grund sehen wir es für unbedingt notwendig an, dass die Mauer gebaut wird“, erklärt der Beamte. Sollte es erneut zu einem solch hohen Tsunami wie 2011 kommen, was jedoch nur einmal in 1000 Jahren der Fall sei, reiche die Mauer allein natürlich nicht aus. Deswegen seien Fluchtwege und Katastrophenschutzübungen selbstverständlich auch wichtig.  Trotzdem sei die geplante Betonbefestigung wichtig, da sie die meisten Tsunami abwehren könne. 

Abe spricht von einer Farce

Und im übrigen hätten die Bürger Koizumis bei einer Informationsveranstaltung im November ihr Einverständnis für den Bau gegeben, so der Beamte. Abe spricht dagegen von einer Farce. Weil die Bürger auf dieser Veranstaltung zunächst keine Fragen stellten, hätten die Beamten das einfach als Einwilligung ausgelegt. Zudem sei den Bewohnern Glauben gemacht worden, der schleppende Wiederaufbau der Katastrophengebiete komme angeblich nur voran, wenn die Betonmauern gebaut werden.

In Wirklichkeit gehe es der Regierung vor allem darum, die Bauindustrie, eine der stärksten Wahlkampfstützen der Liberaldemokratischen Partei LDP von Ministerpräsident Shinzo Abe, mit lukrativen Aufträgen zu versorgen, beklagen Kritiker. Tatsächlich haben bereits mehrere Bewohner Koizumis ihre früheren Grundstücke am Meer für den Bau der geplanten Betonmauern an den Staat verkauft.
Die Bauarbeiten sollen in Kürze beginnen. (dpa)

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