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Eine amerikanische Biografie. First Lady Michelle Obama.

© dapd

Unbequeme Blutsverwandtschaft: Kontroverse um Michelle Obamas weiße Vorfahren entbrannt

Eine Reporterin der New York Times hat die Familiengeschichte von Michelle Obama nachverfolgt und herausgefunden, dass die erste schwarze First Lady weiße Vorfahren hat. Amerika wird nun mit einer dunklen Seiten seiner Geschichte konfrontiert.

Die weiße Südstaatlerin Joan Tribble hatte so eine Ahnung, als sie das Bild von Dolphus Shields, einem afroamerikanischen Mann mit melancholischen Augen, zum ersten Mal sah. Inzwischen hat sie Gewissheit. Sie ist blutsverwandt mit Michelle Obama. Dolphus Shields war der Ururgroßvater der ersten schwarzen First Lady der USA. Er hatte eine schwarze Mutter. Sein Vater Charles Shields war jedoch ein Weißer. Und dieser Charles ist zugleich ein Vorfahre der weißen US-Bürgerin Joan Tribble. Ihre spontane Reaktion, als ihr Dolphus’ Porträt aus der Zeitung entgegenstarrte, beschreibt sie so: „Er sieht aus, als könnte er zu meiner Familie gehören.“

Das war ein überraschendes Gefühl. Ihre Vorfahren stammten aus Irland und hatten, soweit sie wusste, nie über die Rassengrenzen hinweg geheiratet. Die Gesichtszüge dieses Dolphus, den die „New York Times“ 2009 als halb weißen, halb schwarzen Vorfahren Michelle Obamas vorstellte, erinnerten sie jedoch an die Bilder ihrer eigenen Ahnen.

Nun ist bewiesen: Charles Shields hatte Kinder mit verschiedenen Frauen. Die Mutter des ehelichen Sohnes McClellan, von dem Tribble abstammt, war seine weiße Ehefrau. Die Mutter von Dolphus, dem Ururgroßvater der First Lady, war eine schwarze Sklavin. Wenn man Bilder der Halbbrüder nebeneinander sieht, ist die Ähnlichkeit verblüffend – trotz der unterschiedlichen Hautfarbe. Der Nachname ging auf beide über. Michelle Obamas Mutter wurde am 29. Juli 1937 als Marion Shields geboren.

Bildergalerie: Michelle Obama - ein amerikanischer Traum

Rachel Swarns, eine Reporterin der „New York Times“, die 2009 über die Suche nach Michelle Obamas Familiengeschichte berichtete, hat den Geschichtsfaden verfolgt und eine ausreichende Zahl von Shields-Nachkommen gefunden, die bereit waren, ihre DNA untersuchen zu lassen. Vor wenigen Tagen ist ihr Buch erschienen: „American Tapestry. The Story of the Black, White and Multiracial Anchestors of Michelle Obama“.

Es ist kein leichtes Thema für Amerika. Die Aufdeckung rührt an wunde Punkte der nationalen Geschichte. Unzählige Schwarze und Weiße in den USA sind enger miteinander verwandt, als sie ahnen und als vielen lieb ist. Denn die Antworten auf die Fragen, die sich unweigerlich stellen, können beschämend sein. Bis zum Bürgerkrieg (1861 bis 1865) gab es Sklaverei in den Südstaaten. Rassentrennung war sogar bis in die 1960er Jahre dort vorgeschrieben. Möchten Weiße wirklich wissen, unter welchen Bedingungen ihre Vorfahren damals schwarze Frauen schwängerten? Die Volkszählung von 1890 ergab 1,1 Millionen „gemischtrassige“ Amerikaner – unter 63 Millionen Bürgern insgesamt. Inzwischen weiß man, dass alle vier Großeltern Michelle Obamas auch weiße Vorfahren hatten.

Die Mutter jenes Dolphus Shields war ein Sklavenmädchen namens Melvinia. Allein die Erkenntnis, dass ihre Vorfahren Sklaven besaßen, ist für viele lebende Familienmitglieder bedrückend. Sie hatten sich die Ahnen als bescheidene Bauern vorgestellt, nicht als Sklavenhalter.

Völlig falsch sind solche Bilder nicht, sagen Historiker. Die Shields gehörten nicht zur vermögenden Oberschicht wie, zum Beispiel, Thomas Jefferson, einer der Gründungsväter der USA. Sein Anwesen Monticello umfasste mehr als 2000 Hektar, er besaß 200 Sklaven. Mit einer davon, Sally Hemings, zeugte er mehrere Kinder; sie bekam eine privilegierte Stellung im Haushalt. Bei Führungen in Monticello klingt es manchmal so, als sei das eine Liebesbeziehung gewesen und als dürfe man in Jefferson einen Vorreiter des modernen Amerika ohne Rassenschranken sehen; nur leider habe er nicht im Alleingang den Zeitgeist und die ökonomischen Zwänge, aus denen die Sklaverei erhalten blieb, überwinden können.

Warum eine Familienzusammenführung von Schwarzen und Weißen schwer wird

Der Vorfahr. Diese Fotografien zeigen McClellan Charles Shields, der den gleichen Vater hat wie Dolphus Shields, der Ururgroßvater von Michelle Obama. Genetische Tests belegen, dass die First Lady mehrere weiße Ahnen hat. Foto: Richard Perry/The New York Times
Der Vorfahr. Diese Fotografien zeigen McClellan Charles Shields, der den gleichen Vater hat wie Dolphus Shields, der Ururgroßvater von Michelle Obama. Genetische Tests belegen, dass die First Lady mehrere weiße Ahnen hat. Foto: Richard Perry/The New York Times

© RICHARD PERRY/The New York Times

Die Shields waren nicht so begütert. Sie arbeiteten Seite an Seite mit ihren wenigen Sklaven auf den Feldern im nördlichen Georgia, bauten Baumwolle, Mais und Süßkartoffeln an. Melvinia war ungefähr acht Jahre alt, als die Shields sie um 1852 von einem anderen Farmer erwarben – und 15, als ein weißer Sohn des Hauses, der 20-jährige Charles, mit ihr Dolphus zeugte, ihren ersten Sohn. Er wurde 1860 geboren, in dem Jahr, bevor der Bürgerkrieg begann, der schließlich mit der Abschaffung der Sklaverei endete. Charles Shields wurde Dorflehrer. Melvinia hatte noch weitere gemeinsame Kinder mit ihm.

Viele weiße Shields-Nachkommen hoffen nun, dass dies ein Hinweis für eine Liebesbeziehung sein könnte. „Es würde mich schmerzen, wenn ich mir meinen Urgroßvater als Vergewaltiger vorstellen müsste“, hat die 61-jährige Sherry George der Autorin Rachel Swarns anvertraut. „Es wäre schön, zu wissen, dass sie liebevoll zueinander und zu den Kindern waren.“ Die schwarzen Nachkommen glauben in der Mehrzahl, dass der Geschlechtsverkehr nicht im Konsens erfolgte. Einige wenige Zeitzeugen für das Buch haben Melvinia noch persönlich gekannt; sie starb 1938. Melvinia habe über solche Fragen nicht reden wollen.

Das scheint ein verbreitetes Phänomen zu sein. Michelle Obamas Onkel väterlicherseits, Nomenee Robinson, bekam nie Antworten auf Fragen nach der Familiengeschichte. „Die älteren Verwandten sagten: Junge, ich weiß nichts über die Zeit der Sklaverei. Und ich dachte mir dann: Das heißt, ihr habt nie mit euren Müttern oder Großmüttern darüber geredet?“

Bildergalerie: Michelle Obama - ein amerikanischer Traum

In den nächsten Generationen trennten sich die Wege der weißen und der schwarzen Shields. Die weiße Verwandtschaft blieb zumeist in Georgia, die schwarze ging überwiegend auf „den großen Zug nach Norden“. Die offizielle Aufhebung der Sklaverei nach dem Bürgerkrieg verbesserte die soziale Lage der Schwarzen kaum. Aus Sklaven in den Südstaaten wurden freie Hungerlöhner. Aber die Industriegebiete im Norden brauchten Arbeitskräfte. Dolphus’ Tochter Pearl zog nach Cleveland, Ohio. Michelle Obamas Großeltern trafen sich in Chicago. Die väterliche Linie mit dem Namen Robinson war aus South Carolina dorthin gelangt; auch sie waren vor dem Bürgerkrieg Sklaven.

Joan Tribble fände es schön, wenn es irgendwann zu einem Familientreffen der weißen und schwarzen Shields-Nachfahren käme. Manche weiße Familienmitglieder sind zögerlich. Wie soll man unbefangen über die Blutsverwandtschaft aus der Zeit der Sklaverei sprechen? „Das wird wohl kein Kumbaya.“

Christoph von Marschall hat 2009 das erste Buch über das Leben der First Lady im Weißen Haus geschrieben: „Michelle Obama. Ein amerikanischer Traum“. Darin wird die Sklavenzeit ihrer väterlichen Familie geschildert. Nun ist auch die Familiengeschichte ihrer Mutter besser erforscht.

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