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Panorama: Unter Elfen

In Island werden die Berichte über Fabelwesen immer mehr

Diskriminierte Minderheiten, Benachteiligte und Sprachlose schaffen sich in Deutschland durch „Beauftragte" ein Gehör. Es gibt Beauftragte für Frauen, für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und für den Naturschutz. Eine „Elfenbeauftragte" gibt es aber nur in Island. Erla Stefánsdóttir heißt das Medium, dass mit hellsichtigem Blick die Wesen des so genannten niederen Volksaberglaubens erspäht. Sie lebt in einer schmucken Reihenhaussiedlung in Islands Hauptstadt Reykjavík und ist im bürgerlichen Beruf Klavierlehrerin. Ursprünglich verhielt sie sich der Presse gegenüber extrem zurückhaltend. „Das ist bei Menschen, die „skyggn", also hellsichtig sind, nichts Ungewöhnliches", erklärt der isländische Modedesigner Rosberg, ein enger Freund der Sängerin Björk. Er selbst berichtet ausführlich und freimütig über seine angeblichen bizarren Begegnungen mit homoerotischen Sexelfen. In seinem Modeshop „skaparinn" auf Reykjavíks Hauptstraße verkauft er T-Shirts mit dem Aufdruck „Das dritte Geschlecht".

Seit die Medien, vornehmlich die deutschen, in regelmäßigem Turnus die Insel nach Elfen und Elfensichtigen durchkämmen, hat sich deren Anzahl enorm vermehrt. Sogar die Zeitschrift „MINIInternational“ des Autoherstellers „Mini“ berichtete darüber. Mittlerweile finden sich genügend Freiwillige, die sich den angereisten Journalisten als elfenkundig anbieten. „Es ist ziemlich schwer, die echten von den falschen Elfensichtigen zu unterscheiden", meint die Künstlerin Ásta Ólafsdóttir: „Zumal wir hier seit neuestem auch ein paar Arbeitslose haben. Mit Interviews und Elfenführungen lassen sich schon ein paar Kronen dazu verdienen."

Das Original, Erla Stefánsdóttir (64), im Polyglott-Reiseführer Island schon mal für „zwischenzeitlich verstorben" erklärt, ist allerdings echt und quicklebendig. Das bestätigen alle, die man fragt. Erst allmählich hat sich das scheue Medium an den ganzen Presserummel gewöhnt. Erlas Selbstbewusstsein ist dadurch sehr gestiegen: „Meine ersten Aufträge bekam ich vom Baustadtamt. Ich sollte die Orte verzeichnen, an denen Elfen und Zwerge hausen." Die Behörde ahnte natürlich von der geheimnisvollen Kraft der Elfen, die sich gegen die Zerstörung ihrer unsichtbaren Behausungen mit überaus rabiaten Mitteln wehren. „Baggerschaufeln können zerbrechen und seltsame Krankheiten befallen die Arbeiter", betont Erla und tippt dabei unablässig mit dem rot lackierten Zeigefinger auf die Tischplatte.

Geschickt umging man dank Erla bei Bauarbeiten Elfenwohnorte, konstruierte kühne Schlenker um einen Elfenhügel, nannte ihn Álfshólsvegur, Elfenhügelweg. Vom Erfolg der Bauvorhaben und der Medienresonanz ermuntert, bestellte die Tourismusbehörde der Gemeinde Hafnarfjördur ebenfalls eine Karte bei Erla. Als „Naturgeisterlandkarte" fand sie reißenden Absatz.

Seitdem pilgern Touristen aus aller Welt in der eigentlich etwas öden Neubausiedlung herum, um in den herumliegenden roten Lavabrocken nach Elfen zu suchen. Jüngst wurde die Elfenbeauftragte gebeten, einen Hügel zu observieren, der dem Bau einer Tankstelle in Selfoss auf halber Strecke zwischen der Hauptstadt und den Geysiren weichen sollte. Erla Stefánsdóttir stellte elfisches Leben fest und kontrollierte die sanfte Versetzung des Hügels um einige Meter. So freundlich geht es allerdings nicht immer zu. Beim jüngsten Bauvorhaben, der Errichtung eines gigantischen Wasserkraftwerkes im unbewohnten Hochland war Erla Stefánsdóttirs Rat nicht gefragt. Große Teile der unberührten isländischen Natur werden durch das Kárahnjókarprojekt unwiederbringlich zerstört.

Rechtsanwalt Atli Gíslason (55) von den isländischen Grünen klagt vor dem Efta-Gericht in Luxemburg gegen Regierung und Umweltministerin: „Den verantwortlichen Politikern fiele nicht einmal im Traum ein, die Elfenbeauftragte zu konsultieren." Möglicherweise besuchen die Elfen dafür die Politiker und Manager des Alcoa-Konzerns im Schlaf. „Elfe“ kommt von „Alp“. „Alptraum" bedeutet: unangenehmer nächtlicher Elfenbesuch.

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