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In Bedrängnis. Dieser Stamm indianischer Ureinwohner des Amazonas-Gebietes war 2008 der Weltöffentlichkeit durch diese Luftaufnahmen bekannt geworden. Bewaffnete Drogenbanden haben das Gebiet überfallen, von den Indianern fehlt jede Spur. Foto: AFP

© AFP

Panorama: Ureinwohner vermisst

Brasilien schlägt Alarm: Indianer im Amazonasgebiet wohl durch Drogenhändler aus Peru vertrieben

Isoliert lebende Ureinwohner im westbrasilianischen Bundesstaat Acre, deren Existenz 2008 einer breiten Öffentlichkeit durch spektakuläre Luftaufnahmen bekannt wurde, sind offenbar von peruanischen Drogenhändlern vertrieben worden. Die staatliche brasilianische Indianerbehörde Funai ist in größter Sorge auch um den Stamm, von dem es vor drei Jahren fälschlicherweise hieß, er sei bisher unentdeckt. Die Indianerbehörde stellte später klar, dass die Existenz des Stammes seit 1919 bekannt und sie auch durch Fotos dokumentiert ist. In das wichtigste Rückzugsgebiet der Ureinwohner dringen zunehmend schwer bewaffnete Drogenbanden aus Peru ein. Wie die Funai auf Tagesspiegel-Anfrage mitteilte, handelt es sich dieses Mal um eine regelrechte Invasion, es müsse sogar mit Massakern an den Ureinwohnern gerechnet werden. Offenbar hätten die Gangster in den letzten Tagen einen ganzen Stamm vertrieben, worauf ein Expertenteam in dem unwegsamen Dschungelgebiet mit Suchaktionen begonnen habe.

Die Behörden beorderten mehrere Polizisten in die abgelegene Amazonas- Grenzregion zu Peru, wie die Tageszeitung „Folha de Sao Paulo“ diese Woche berichtete. Zuvor hatten fünf Mitglieder der nationalen Indianerbehörde Funai, die die isoliert lebenden Indianer beobachten und schützen, angegeben, sie seien von bewaffneten Peruanern umzingelt. Von den Ureinwohnern fehle hingegen jede Spur, sagten die Beamten.

„Wir sind besorgt darüber, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte“, erklärte der Gouverneur Acres, Tiao Viana. Er befürchte, die Peruaner seien Söldner, die auf das Töten von Ureinwohnern spezialisiert seien und im Dienst von Holzfällern und Drogenhändlern stünden.

Der Stützpunkt der Indianerbehörde, der 23 Kilometer von der peruanisch-brasilianischen Grenze entfernt liegt, war am 24. Juni überfallen und verwüstet worden. Armee und Bundespolizei Brasiliens gelang es unter Einsatz von Hubschraubern, die Station zurückzuerobern und dabei den berüchtigten portugiesischen Drogenboss Joaquim Fadista zu verhaften, der in Luxemburg wegen Rauschgifthandels bereits verurteilt worden war. Laut Funai hielten sich weiterhin peruanische Gangster nahe der Basis versteckt und in der Stammesregion Camps angelegt hätten.

José Carlos Meirelles von der brasilianischen Indianerbehörde war Ende April 2008 zusammen mit einem Fotografen in einem Kleinflugzeug über einem Ausschnitt des peruanisch-brasilianischen Grenzgebiets unterwegs. Die dabei geschossenen Fotos gingen um die Welt. Auf ihnen waren Indianer mit Kriegsbemalung zu sehen, die mit ihren Pfeilen auf das Kleinflugzeug zielten. Meirelles wollte damit auf die Bedrohung dieser Ureinwohner hinweisen, deren Lage jenseits der Grenze er als dramatisch einschätzte. „Die Holzfäller schlachten sie einfach ab“, wurde Meirelles damals in der „tageszeitung“ zitiert. „Und der peruanische Präsident Alan Garcia bestreitet schlichtweg die Existenz solcher Völker", sagt er und warnte: „Damit gibt er sie zum Abschuss frei.“

Verheerend wirkt sich neben dem Eindringen der Drogenbanden auch der Edelholzraub durch peruanische Unternehmen aus, die dafür auf brasilianischer Seite sogar Straßen anlegen. „Alle derartigen Aktivitäten versetzen die Ureinwohner in Angst, gewöhnlich werden Dörfer und einzelne Hütten daraufhin aufgegeben“, hieß es bei der Finai. Für die Indios im peruanischen Regenwald sei die Situation aber viel schlechter, ganze Gruppen wechselten daher nach Brasilien, hieß es. Die Behörde versucht derzeit nach eigenen Angaben, mit dem Verteidigungsministerium neue Strategien für den Schutz eines 630 000 Hektar großen Grenzgebiets zu entwerfen, in dem rund 2000 Ureinwohner leben.

In Brasilien mit seinen rund 190 Millionen Einwohnern leben mehr als eine halbe Million Indios, über die Hälfte davon bereits in großen Städten. So zählt die Wirtschaftsmetropole Sao Paulo inzwischen 38 verschiedene Ethnien. Sehr viele Indianer sprechen nicht mehr ihre Stammessprache, leben in Steinhäusern und haben gängige Berufe. Auch bei jenen Indianern, die außerhalb der Städte in markierten Reservaten wohnen, hat sich die Stammesstruktur tiefgreifend verändert: So gibt es bereits Indio-Assoziationen mit Präsident, Vize und Schatzmeister. Häuptlinge alten Stils erleben frustriert, wie sich junge Indios von Traditionen abwenden und sich den teils sehr schmerzhaften Initiationsriten nicht mehr unterziehen wollen. Längst gibt es indianische Rapper und Hip-Hop-Gruppen, die ihren Vorbildern aus den USA auch im Outfit sehr stark ähneln.

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