zum Hauptinhalt
Zeltstadt

© AFP

USA: Die Finanzkrise zeigt ihr Gesicht

"Tent City", Zeltstadt in Sacramento – hier landen Menschen, die Haus und Hof verloren haben. Wie vor 80 Jahren, als die "Great Depression" Tausende nach Kalifornien trieb. Doch heute sind es keine Arbeiter und Bauern, die hier Zuflucht suchen.

Vor 80 Jahren kampierten hier am Flussufer des American River bei Sacramento Grubenarbeiter aus Tennessee in zerrissenen Kleidern und verarmte Farmer aus Oklahoma. Die Great Depression und die Dürrejahre trieben Tausende nach Kalifornien auf der Suche nach einer besseren Zukunft. John Steinbeck verewigte den Treck in „Früchte des Zorns“. Dorothea Lange fotografierte die verhärmten Bewohner der provisorischen Zeltstädte.

Heute treffen sie wieder ein in der „Tent City“ am Rande der kalifornischen Hauptstadt. Doch heute sind es keine Arbeiter und Bauern, sondern Mitglieder der unteren Mittelschicht, deren Häuser zwangsversteigert wurden und die hier Zuflucht suchen.

Wie Karen Hersh, die zuerst ihren Job und dann ihr Heim verloren hat. Niemals hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren könnte. Mehrere hundert Menschen hausieren hier inzwischen ohne Elektrizität oder sanitäre Räumlichkeiten. Und täglich werden es mehr. Ihr einziger Schutz vor den Elementen: Nylonzelte und blaue Plastikplanen. Und beim nahen Wohltätigkeitsverein „Loaves & Fishes“ eine warme Mahlzeit am Tag.

Die Finanzkrise bekommt ein Gesicht, seit TV-Star Oprah Winfrey in Sacramento auftauchte und eine Sondersendung über die Zeltstadt drehte. Als dann auch noch ausgerechnet der arabische Fernsehsender „Al Dschasira“ das Thema aufgriff und die „BBC“ internationale Schlagzeilen produzierte, da wurde „Tent City“ plötzlich zur Peinlichkeit für Kalifornien, denjenigen Bundesstaat, der für sich allein die achtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt darstellt, wo die Traumfabrik Hollywood steht und die Villen der Schönen und Reichen.

„Tent City ist natürlich nicht die Lösung für das Obdachlosenproblem Sacramentos“, musste Bürgermeister Kevin Johnson einräumen und versprach Abhilfe. Doch die Mittel sind knapp. Denn auch Kalifornien leidet unter der schweren Rezession, den geringeren Steuereinnahmen für die Kommunen durch die Immobilienkrise und unter den Folgen eines hohen Haushaltsdefizits.

„Nicht ideal, aber okay“ – so beschreibt Dave Cutch die Lage in „Tent City“. Der 53-Jährige, der mit Wanderstiefeln und kräftiger Statur eher einem Bergsteiger als einem Obdachlosen ähnelt, lebt seit zwei Monaten hier – nachdem der Schweißer aus Colorado erst seinen Job, dann sein Haus und schließlich gar seinen Pick-up verlor, wo er zeitweilig nächtigte. Ein Freund lockte ihn ausgerechnet nach Kalifornien, wo die Arbeitslosenrate über zehn Prozent liegt – höher als der Landesdurchschnitt von 8,1 Prozent.

Auf der Suche nach Arbeit machte er die gleichen Erfahrungen wie viele seiner neuen Nachbarn. „Es gibt hier nichts.“

Zudem hat Cutch noch ein anderes Problem bei Bewerbungen: „Keine Wohnung, kein Job“. Jobverlust und Zwangsversteigerung des gemieteten Hauses hat Susi, die ihren Nachnamen nicht nennen will, hierher gezwungen. Der 55-Jährigen ist es „peinlich“, in einem Zelt zu leben, „aber immer noch besser als auf der Straße“. Bis zu 500 Menschen, so die Schätzungen, verlieren derzeit pro Tag in den USA ihr Heim durch Zwangsversteigerung. Können sie nicht vorübergehend bei Verwandten und Freunden unterkommen, schlafen viele Rezessionsopfer in Campingwagen oder in ihren Autos auf Parkplätzen von Discountern und Kirchen. Oder sie mieten sich mit ihren Kindern in billigen Motels in der Hoffnung ein, irgendwann das Geld für drei Monatsmieten aufzubringen. Ganz am Ende der finanziellen Fahnenstange angekommen, landen sie schließlich in Obdachlosensiedlungen.

„Die Krise trifft vor allem die Mittelklasse. Leute, die gutes Geld verdient haben, die nun jedoch oft nur ein oder zwei Gehälter von der Obdachlosigkeit trennt“, sagt Ordensschwester Joan Burke. Burke steht „Loaves & Fishes“ vor. Die Hilfsorganisation verklagte die Stadt, die die provisorische Zeltstadt räumen lassen wollte, ohne Alternativen zu schaffen. Nach der Sendung auf „Oprah“, die wöchentlich 40 Millionen Zuschauer verfolgen, ließen die Stadtväter Toilettenhäuschen ans Flussufer schaffen. Und wollen in den nächsten Wochen nach langfristigen Lösungen suchen.

Bis dahin will es Charles Washington in „Tent City“ aushalten. „Sacramento ist der beste Ort, um es von der Straße zu schaffen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false