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USA: Flug in die Irre

Eine Maschine ist hinter dem Zielflughafen 250 Kilometer weitergeflogen – ein Fall für Abfangjäger.

In den USA sind die Piloten eines Airbus A320 der Northwest Airlines mit 147 Passagieren an Bord rund 250 Kilometer – das entspricht etwa der Luftlinie Berlin-Hamburg – über das Ziel hinausgeflogen. Erst kurz bevor Kampfflugzeuge der US-Air-Force starteten, bemerkten sie den Fehler und drehten um. Die Behörden prüfen jetzt, ob Flugkapitän und Erster Offizier eingeschlafen waren. In Europa haben die Pilotengewerkschaften wegen der häufigen Übermüdung der Cockpitbesatzungen gerade eine Kampagne für kürzere Dienstzeiten gestartet.

Flug NW 188 aus San Diego sollte am Mittwochabend gegen 20 Uhr auf dem Flughafen von Minneapolis/St. Paul im Bundesstaat Minnesota landen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten die Piloten bereits seit rund einer Stunde nicht mehr auf Funksprüche reagiert. Statt in den Sinkflug überzugehen, überquerte die Maschine das Ziel in knapp 11 300 Metern Höhe und flog weiter in Richtung Osten.

Weil eine Entführung nicht ausgeschlossen werden konnte, wurde das nordamerikanische Luftverteidigungskommando alarmiert. Vier Kampfjets wollten gerade starten, um den Airbus abzufangen, als die Piloten um 20 Uhr 14 endlich wieder auf die Funksprüche reagierten. Nach unbestätigten Berichten sollen sie die Situation erst bemerkt haben, als sich eine Stewardess auf Drängen von Passagieren nach der Dauer der Verspätung erkundigte. Dem Fluglotsen erklärte die Besatzung, sie sei „abgelenkt“ gewesen. Die Maschine drehte um und landete auf dem Zielflughafen. Die Passagiere hatten bis dahin an eine normale Verzögerung geglaubt. Erst als Polizisten und FBI-Agenten den Airbus stürmten, merkten sie, dass etwas nicht stimmte.

Bei ihrer Vernehmung gaben die Piloten eine erstaunliche Erklärung zu Protokoll. Sie hätten so erregt über die Politik ihrer Firma diskutiert, dass sie alles andere vergessen hätten. Im Vorjahr war Northwest mit Delta Air Lines zur größten Luftverkehrsgesellschaft der Welt fusioniert. Die US-Transportsicherheitsbehörde NTSB schickte ein dreiköpfiges Ermittlungsteam nach Minneapolis. Delta teilte mit, man habe die Piloten bis zum Abschluss der Untersuchung vom Dienst suspendiert.

Fachkreise in den USA äußerten erhebliche Zweifel daran, dass die Besatzung alle Funksprüche überhören konnte. Es wird nicht ausgeschlossen, dass die Piloten schlichtweg eingeschlafen waren. Man prüfe alle Möglichkeiten, auch eine eventuelle Erschöpfung der Crew, hieß es beim NTSB. Jetzt wird abgewartet, ob bei der Auswertung des sichergestellten Recorders, der alle Gespräche im Cockpit aufzeichnet, hitzige Debatten oder Schnarchgeräusche zu hören sind.

Um die Dienstzeiten der Piloten gibt es weltweiten Streit. Diverse Flugunfälle werden auf Übermüdung der Besatzung zurückgeführt. Nach dem Absturz eines Regionalflugzeugs der Colgan Air bei Buffalo, New York, der im Februar 50 Todesopfer forderte, will die US-Bundesluftfahrtbehörde FAA bis Ende kommenden Jahres mit einer neuen Verordnung die maximal zulässigen Flugzeiten reduzieren. Die European Cockpit Association (ECA) listet 14 Unfälle seit 1993 auf, bei denen Erschöpfung der Piloten eine Rolle spielte. Dazu gehört auch der Absturz eines Crossair-Fluges aus Berlin am 24. November 2001 in Zürich mit 24 Todesopfern.

Bei einer Umfrage der Flight Safety Foundation räumten 80 Prozent der befragten 1424 Besatzungsmitglieder regionaler Airlines ein, schon einmal während des Fluges eingenickt zu sein.

Dennoch ist man in Europa von einer Verkürzung der Dienstzeiten weit entfernt. Bisher darf die kontinuierliche Arbeitszeit der Piloten hier auf bis zu 14 Stunden ausgedehnt werden, bei Nachtflügen sind bis zu 11 Stunden und 45 Minuten zulässig. Eine von der EU in Auftrag gegebene, wissenschaftliche Studie nennt 13 Stunden bei Tage und zehn Stunden bei Nacht als vertretbare Obergrenzen. Die ECA hat deshalb jetzt einen sieben Punkte umfassenden Aktionsplan aufgestellt und die Europäische Kommission, die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA), die Luftfahrtunternehmen sowie die nationalen Verkehrsministerien aufgefordert, Position zu beziehen und so rasch wie möglich tätig zu werden. „Es geht hier schließlich nicht um soziale Feinjustierung, die über Tarifverträge erreicht werden kann, sondern um das Leben von Passagieren und Crews“, sagt der Sprecher der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit, Flugkapitän Jörg Handwerg.

Rainer W. During

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