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Gedränge. So sieht es normalerweise an der Rialto-Brücke aus. Foto: Reuters

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Panorama: Venedig geht mal wieder unter

Nach einem tödlichen Unfall gelten erstmals richtige Verkehrsregeln für den Canal Grande. Taxifahrer und Transportunternehmer sind empört – und in einen unbefristeten Streik getreten.

Als Erstes verschwanden Salat und Obst von den Marktständen und der Mozzarella aus den Kühlregalen. Wo in den Supermärkten sonst die Eier liegen, stecken nur noch die Preisschilder. Die Brotbäcker schlagen Alarm: „Mit unseren Mehlvorräten kommen wir höchstens bis Sonntag.“ Und selbst in Vielsternehotels reicht die saubere Wäsche nur noch bis zum Wochenende.

Seit Mittwoch befindet sich Venedig im Ausnahmezustand, und ein Ende ist nicht absehbar. Einzig die Fotografen freut’s: Sie schießen schier surreale Bilder von einem leeren Canal Grande, über den dann und wann bedächtig eine Gondel stakt. Ansichten wie diese kennt man sonst nur noch aus alten Gemälden.

Venedig geht unter. Diesmal sagen das die Transportunternehmer und die Taxifahrer. Sie sagen: „Unter diesen Bedingungen können wir nicht arbeiten!“ Und haben damit gleich ganz aufgehört. Der Streik richtet sich gegen neue Verkehrsregelung und -beschränkung auf dem Canal Grande, die an diesem Freitag in Kraft getreten ist. Die Stadt reagiert mit diesem 26-Punkte-Werk auf einen tödlichen Unfall von Mitte August: Im täglichen Gedränge unter der Rialto-Brücke hatte ein Linienschiff die Gondel gerammt, in welcher der deutsche Strafrechtsprofessor Joachim Vogel mit seiner Familie saß. Vogel wurde erdrückt, als er seine kleine Tochter schützen wollte.

Drei Monate später behaupten die Behörden, der Unfallhergang habe sich noch immer nicht restlos klären lassen. Sicher ist: Zum Zeitpunkt der Kollision drängten sich gleich vier Linienschiffe an der engsten Stelle des Canal Grande mit Mühe aneinander vorbei; dazu kamen die üblichen Wassertaxis, Lastkähne und privaten Motorboote. Vogels Gondelfahrer – unter Kokain- und Haschischeinfluss allerdings – versuchte sich dazwischen durchzuzwängen. Dann schlug das Heck eines Linienschiffs allzu weit aus.

Verkehrsregeln auf Venedigs „Stadtautobahn“ existierten bisher nicht wirklich. Alles, was die Stadt versuchte, scheiterte am Protest der Interessenverbände und am Verwaltungsgericht. 1989 gab es einen ähnlichen Streik wie heute – nach drei Tagen knickte der Bürgermeister ein. Giorgio Orsoni, das Stadtoberhaupt von heute, will hart bleiben: „Es gibt ein Gemeinwohl. Die Stadt darf nicht zum Opfer von Lobbygruppen werden.“

Zu den von der Stadt im Lauf der Diskussionen längst wieder abgespeckten Maßnahmen gehört erstmals (!) eine Vorfahrtsregel für Linienschiffe. Zulieferer für Hotels und Geschäfte müssen von elf bis 14.30 Uhr draußen bleiben. Dafür haben sie am Vormittag eine Zeit lang Ruhe vor den Gondeln, die von 9.30 bis 10.30 Uhr die Rialto-Gegend meiden müssen. Ausgesperrt werden Taxis in Leerfahrten. Privatboote sind von acht bis zwölf Uhr auf den Canal Grande verboten.

Was die Profi-Schiffer aber am meisten erbost: Sie müssen über GPS immer ort- und identifizierbar sein. Und die 140 Augen von „Argos“, also die schon vor Jahren installierten Kameras des Überwachungssystems am Canal Grande, werden scharf geschaltet: Sie dürfen jetzt tatsächlich Geschwindigkeitskontrollen vornehmen und Bußgelder für Raser verhängen. Bisher hatte die Stadt das vermieden – aus angeblich rechtlichen Schwierigkeiten. In Wahrheit ließen die Lobbys eine Kontrolle nicht zu.

Kein Wunder, dass die Berufsgruppen der Taxi- und Transportschiffer auch jetzt wettern, „gegen diese Fußfesseln, die sie uns umlegen, als wären wir Verbrecher“, wie Taxichef Silvio Dal Zennaro sagt. Giovanni Grandesso von der Lobby der Transportschiffer sagt, die Beschränkungen „zerstören unsere Firmen“; einseitig begünstigt würden wieder mal nur die anderen Lobbys – die der Gondolieri und die der städtischen Verkehrsbetriebe. Die beiden wiederum bekriegen sich traditionell gegenseitig. Und überhaupt, behaupten die jetzt Streikenden, habe „keiner von der Stadt mit uns gesprochen“. Bürgermeister Orsoni erklärt das für Unsinn: „Wir haben wochenlang gemeinsam am Verhandlungstisch gesessen. Da haben alle so getan, als würden sie zustimmen. Und jetzt ...“

Dass etwas getan werden muss, irgendwann, darüber sind sich alle einig. Denn im Lauf der nächsten fünf oder sieben Jahre, so erwartet es Italiens Unternehmerverband Confindustria, wird sich die Zahl der Venedig-Touristen von jetzt 20 Millionen pro Jahr auf 40 Millionen verdoppeln, und das Gedränge proportional wachsen. Um den Verkehr auf den Wasserstraßen einzuschränken, hatte die Regierung erst Anfangs des Monats beschlossen, ab November 2014 keine großen Kreuzfahrtschiffe ab 96 000 Tonnen mehr durch den Canale della Giudecca direkt am Markusplatz vorbeifahren zu lassen. Ab Januar dürfen dort zudem keine Fähren mehr verkehren und die Zahl der kleineren Schiffe soll um bis zu 20 Prozent reduziert werden. Die Kreuzfahrtindustrie behauptet natürlich prompt unter größtmöglicher Lautstärke, das Durchfahrtsverbot für Riesenschiffe bedeute „schlicht das Ende“ dieses Segments. Aber das sollte man nicht allzu ernst nehmen. Venedig geht schließlich immer unter, auf die eine oder andere Weise.

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