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Protest im Flughafen Frankfurt. Piloten legen sich schlafen, um gegen lange Dienstzeiten zu demonstrieren.

© Vereinigung Cockpit

Vereinigung Cockpit schlägt Alarm: Wehe, wenn der Pilot in der Luft einschläft

In einer Umfrage hat jeder zweite zugegeben, im Cockpit schon einmal eingenickt zu sein. Zahlreiche Abstürze sind darauf zurückzuführen. Die EU will im Sommer neue Arbeitszeiten beschließen.

Von Rainer W. During

Die Boeing 737-800 der niederländischen Fluggesellschaft Transavia befand sich auf dem Flug vom ägyptischen Hurghada zurück nach Amsterdam. Nach zweieinhalb Flugstunden suchte der Flugkapitän die Bordtoilette auf. Als er zurück ins Cockpit wollte, öffnete der Ko-Pilot nicht die Tür und reagierte auch nicht auf Anrufe über das Bordtelefon. Nachdem es ihm mithilfe des Kabinenpersonals gelungen war, die gepanzerte Tür zu öffnen, fand er den Kollegen schlafend vor. Minutenlang war die Boeing führerlos, nur vom Autopiloten gesteuert, mit 800 km/h unterwegs. Nicht auszudenken, was hätte geschehen können, wenn eine Gefahrensituation eine schnelle Pilotenreaktion erfordert hätte. Das jetzt in einem Bulletin der niederländischen Flugsicherheitsbehörde veröffentliche und als „ernsthafte Störung“ eingestufte Ereignis, das sich bereits am 20. September vergangenen Jahres ereignete, ist kein Einzelfall.

Die neuseeländischen Behörden bestätigten jetzt den Bericht des Fernsehsenders 3News, dass der Flugkapitän einer Boeing 777-300ER der Air New Zealand bereits vor zwei Jahren auf dem Flug von London nach Los Angeles gleich zweimal im Cockpit tief eingeschlafen ist. Der Mann hatte den Vorfall selbst gemeldet und angegeben, zuvor im Hotel nur wenig geschlafen zu haben, weil er wegen defekter Klimaanlagen dreimal das Zimmer wechseln musste.

Nicht immer gehen derartige Zwischenfälle so glimpflich ab. Am 22. Mai 2010 raste eine Boeing 737-800 von Air India Express mit der Flugnummer 812 bei der Landung in Mangalore über die Piste hinaus, durchbrach den Flughafenzaun, stürzte einen Abhang hinab, zerbrach und ging in Flammen auf. Nur acht der 166 Insassen überlebten das Unglück. Als die Ermittler die Aufzeichnung des Cockpittonbandes abhörten, stellten sie fest, dass es bis 25 Minuten vor der Landung keine Konversation zwischen den Piloten gab. Dafür war das Schnarchen des Flugkapitäns zu hören. Als dieser dann völlig desorientiert die Landung übernahm, war die Maschine zu hoch und zu schnell. Dennoch ignorierte er die wiederholte Frage des Ko-Piloten nach einem Abbruch des Anfluges und versuchte erst dann noch vergeblich durchzustarten, als die Boeing bereits – viel zu spät – in der Mitte der Landebahn aufgesetzt hatte.

Erschöpfung der Piloten spielte nach dem jetzt veröffentlichten Untersuchungsbericht der libyschen Behörden auch beim Absturz eines Airbus A330 der Afriqijah Airways am 12. Mai 2010 im Anflug auf Tripolis eine Rolle. 93 Menschen starben bei dem Crash der aus Johannesburg kommenden Maschine. Die Crew hatte nach einem Nachtflug nach Südafrika nur den Tag über Pause, um dann am Abend zum Rückflug zu starten.

Am 12. Februar 2009 stürzte eine Turbopropmaschine der Colgan Air mit 45 Passagieren und vier Besatzungsmitgliedern beim Anflug auf Buffalo im US-Bundesstaat New York aufgrund von Pilotenfehlern ab. Der Flugkapitän hatte die vorangegangene Nacht und den ganzen Tag bis zum Start um 21.18 Uhr im Crewraum am Flughafen in Newark verbracht. Die Ko-Pilotin war dort am Morgen eingetroffen, nachdem sie zuvor auf dem dritten Sitz im Cockpit zweier Frachtmaschinen von ihrer Heimatstadt Seattle via Memphis quer über den Kontinent angereist war. Beide hatten nur kurz zwischendurch geschlafen. Aufgrund solcher Unfälle erließ die US-Bundesluftfahrtbehörde FAA 2011 neue Arbeitszeitregelungen für Piloten. Je nach Tageszeit ihres Arbeitsbeginns darf die Dienstzeit jetzt neun bis 14 Stunden betragen, bei einer maximalen Flugzeit von neun Stunden. Ausnahmen gelten bei Langstreckenflügen mit zusätzlichen Besatzungsmitgliedern und festgelegten Pausenzeiten in Ruheräumen. Vor jedem Einsatz ist eine Mindestruhezeit von zehn Stunden vorgeschrieben. In Europa sollen neue Arbeitszeitregeln im Sommer von der EU-Kommission verabschiedet werden und Ende 2015 Gültigkeit erlangen. Darüber ist zwischen den Pilotenvereinigungen und der in Köln ansässigen Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) ein heftiger Streit entbrannt. Ilja Schulz, Präsident der deutschen Vereinigung Cockpit, wirft der Behörde vor, die Sicherheit außer Acht zu lassen und sich „vor den Profitzielen der Fluggesellschaften“ zu „verbeugen“. EASA-Chef Patrick Goudou wiederum bezeichnet es als „unverantwortlich“, dass die Pilotenverbände „mit der Angst der Passagiere spielen“.

In Europa sind heute im Kurz- und Mittelstreckenverkehr Einsatzzeiten von bis zu 14 Stunden zulässig, sagt Schulz. Das bedeute, dass Piloten bei ihrer letzten Landung – dem schwierigsten Teil eines Fluges – bereits 16 bis 18 Stunden wach sind. Bei einer Gesamtdienstzeit von 20 bis 22 Stunden sollen künftig nächtliche Flugzeiten von bis zu zwölf Stunden erlaubt sein, obwohl Wissenschaftler von einer deutlichen Steigerung des Sicherheitsrisikos nach zehn Stunden ausgehen, sagt ECA-Präsident Nico Voorbach. Im Januar demonstrierten die Piloten in zahlreichen europäischen Städten und überreichten der EU-Kommission in Brüssel eine Petition mit mehr als 100 000 Unterschriften.

Bei der EASA weist man die Pilotenkritik zurück. Die neuen Regeln seien nach Auswertung von mehr als 50 wissenschaftlichen Studien und öffentlicher Beteiligung aller beteiligten Gruppen entstanden. Sie würden mehr als 30 Verbesserungen gegenüber den jetzigen Bestimmungen enthalten. So werde die maximale Nachtdienstzeit auf elf Stunden begrenzt und die Bereitschaftszeit der Crews auf 16 Stunden beschränkt.

Bei einer Umfrage in skandinavischen Ländern gaben bis zu 90 Prozent der Piloten an, aufgrund von Erschöpfung schon Fehler gemacht zu haben. Jeder zweite räumte ein, schon einmal im Cockpit eingenickt zu sein. Laut ECA gab es in den vergangenen 20 Jahren mindestens elf Unfälle mit 550 Todesopfern, bei denen Erschöpfung der Piloten eine Rolle spielte. Dazu gehört der Absturz eines aus Berlin kommenden Jets der Crossair am 24. November 2001 in Zürich. Dessen Flugkapitän war am Vortag 15 Stunden und 31 Minuten im Einsatz gewesen und nach knapp elfstündiger Pause zum Unfallzeitpunkt schon wieder 13 Stunden und 37 Minuten im Dienst.

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