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In Nairobi schauen Bewohner des Viertels Kibera zu, wie ihre Häuser abgerissen werden.

© REUTERS

Verkehrsprojekt in Afrikas größtem Slum: Warum Kenias Regierung 30.000 Menschen obdachlos macht

Eine neue Autobahn soll Kenias verstopfte Hauptstadt entlasten. Dafür lässt die Regierung Tausende Häuser, Schulen und ein Krankenhaus abreißen - in Kibera, Afrikas größtem Slum.

In der kenianischen Hauptstadt zu wohnen, muss man sich leisten können. Die Mieten in der ostafrikanischen Metropole sind teilweise so hoch wie in europäischen Großstädten. Zum Beispiel in den Appartementhäusern von Kileleshwa, einem grünen, ruhigen Viertel in der Nähe des Stadtzentrums von Nairobi. Oder im noblen Vorort „Karen Estate“, wo die Reichen ihre Luxuskarossen hinter meterhohen Zäunen verstecken und ihre Villen von privaten Wachleuten schützen lassen.

Kibera: Afrikas größter Slum

Ein paar Kilometer weiter sieht es allerdings ganz anders aus. Dort liegt das Viertel Kibera – Afrikas größte Slum-Siedlung. Wie viele Menschen hier wohnen, weiß niemand so genau. Bis zu einer Million könnten es Schätzungen zufolge sein, die auf engstem Raum in Wohnblocks, Lehmhäusern oder Holzverschlägen, unter Dächern aus Wellblech und Plastikfolien leben. Einen Stromanschluss haben die wenigsten, einen Job hat nur jeder Zweite, fließend Wasser so gut wie niemand. Doch bei allen Problemen, von alltäglicher Gewalt bis zu massiver Umweltverschmutzung, ist Kibera für die Menschen im Viertel vor allem eins: ihr Zuhause.

Für rund 2000 Familien ist das seit wenigen Tagen jedoch vorbei. Am vergangenen Montag, kurz nach Sonnenaufgang, fiel ein Heer von Polizisten in den Stadtteil ein. Ihr Auftrag war, ein Prestigeprojekt der Regierung abzusichern. Mit Maschinengewehren und Schlagstöcken bewaffnet hielten die Beamten einem Trupp von Bauarbeitern den Rücken frei, damit deren Bulldozer und Bagger eine Schneise der Verwüstung durch Kibera schlagen konnten. Die Menschen im Viertel mussten fassungslos mitansehen, wie sich die schweren Maschinen Meter für Meter durch die Siedlung fraßen. Tausende Wohnhäuser, zwei Grundschulen, ein Krankenhaus und sogar eine Kirche wurden niedergewalzt. Damit stehen seit vergangenen Montag mehr als 30.000 Menschen in Kibera vor dem Nichts.

Bei Temperaturen um zehn Grad – niedrige Werte für kenianische Verhältnisse – hat die Regierung sie über Nacht zu Obdachlosen gemacht. „Ich musste mit meinen Kindern draußen schlafen“, erzählte eine Betroffene dem kenianischen Sender NTV am Tag danach. „Und ich weiß nicht, wohin wir jetzt gehen sollen.“

Hinter der Abrissaktion steckt die Straßenbaubehörde KURA. Sie will eine neue, mehrspurige Autobahn quer durch Kibera bauen. Das Ziel ist, das Verkehrsproblem der Hauptstadt in den Griff zu bekommen. Die Straßen ins Zentrum von Nairobi sind seit Jahren hoffnungslos überlastet. Stau ist tagsüber der Normalzustand. Schon früh am Morgen schieben sich unzählige PKW, Minibusse und Lastwagen höchstens im Schritttempo voran.

Menschenrechtler kritisieren die Regierung

Die Lösung für das Verkehrsproblem soll nun der neue Highway bringen. Bezahlen müssen dafür jedoch ausgerechnet die Menschen, die sich gar kein Auto leisten können: die Ärmsten der Stadt, die Einwohner von Kibera, deren Häuser dem Großprojekt weichen müssen. Menschenrechtler haben die Abrissaktion und Vertreibung der Slum-Bewohner scharf verurteilt. Amnesty International erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Die habe die Menschen zu spät über die Aktion informiert sowie Absprachen über Entschädigungszahlungen gebrochen. Die Straßenbaubehörde zeigte sich unbeeindruckt und veröffentlichte nach der Abrissaktion eine Erklärung: „Danke an die Einwohner von Kibera, dass sie freiwillig den Weg freimachen für die Langata-Ngong-Verbindungsstraße.“ Für die Menschen, die mit ihren Häusern alles verloren haben, muss das wie der blanke Hohn klingen.

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Der Fall verdeutlicht ein großes Problem in Kenia: Zwar wächst die Mittelschicht in dem Land rasant. Das zeigt sich auch daran, dass sich immer mehr Kenianer Autos leisten können, mit denen sie nun die Straßen der Großstädte verstopfen. Nairobi, die Drehscheibe der ostafrikanischen Wirtschaft, boomt. Doch das Wachstum kommt bei vielen nicht an. Die Elendsviertel, die es seit der Kolonialzeit gibt, werden größer – und die Regierung kümmert sich kaum.

Golfplatz in Nairobi: Im Vordergrund stehen Bewohnerinnen des Slums Kibera.
Golfplatz in Nairobi: Im Vordergrund stehen Bewohnerinnen des Slums Kibera.

© REUTERS

Wie sehr in Kenia die Gegensätze aufeinanderprallen, zeigte auch eine Szene am Rande der Abrissaktion in Kibera: Die Siedlung wird im Norden von einer Mauer begrenzt. Auf der einen Seite versuchten am Montag verzweifelte Menschen ihr Hab und Gut aus den Trümmern der plattgewalzten Häuser zu retten. Einen Steinwurf entfernt, auf der anderen Seite der Mauer, standen zur gleichen Zeit einige Frauen auf dem saftigen Rasen des angrenzenden Golfplatzes. Unbeeindruckt von den tragischen Geschehnissen keine hundert Meter hinter ihnen schlugen sie seelenruhig Bälle durch die Luft.

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