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Panorama: Versagt Therapie?

Der mutmaßliche Mörder von Carolin wurde in der Haft behandelt – kaum in Freiheit, schlug er wieder zu

Sieben Jahre lang hatte er gesessen. Am 8. Juli schließlich kam er auf freien Fuß. Es dauerte nur eine Woche, da schlug er erneut zu, sagen die Ermittler.

1997 hatte Maik S. eine junge Autofahrerin, die ihn als Tramper mitnahm, vergewaltigt. Nun deutet alles darauf hin, dass er die 16-jährige Carolin ermordet hat – trotz Strafe und Therapie. Es gab keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr, sagen die zuständigen Psychologen. Wie konnte es zu dieser Fehleinschätzung kommen? Lassen sich tickende Zeitbomben wie Maik S. etwa nicht erkennen? Täuschen sie ihre Therapeuten? Lassen sie sich überhaupt therapieren?

„Es wundert mich schon, dass es keine Warnzeichen gegeben haben soll, wenn einer so dicht nach der Entlassung eine solche Tat begeht“, sagte der Kriminalpsychologe Klaus-Peter Dahle vom Institut für Forensische Psychiatrie der Berliner Charité gegenüber dem Tagesspiegel. Auf der anderen Seite sei es gerade für Sexualstraftäter typisch, dass sie sich während der Haft „unauffällig und angepasst“ verhalten. Sie rasten nicht aus, werden nicht gewalttätig – sie sitzen ihre Jahre ab, und wenn sie nicht vorzeitig entlassen werden, erstellt man in der Regel keine weiteren Gutachten. Sie kommen einfach frei. Meist geht das gut.

Aber eben nicht immer – wie jetzt wieder, und dann können die Folgen verheerend sein. Nach wie vor gibt es keine zuverlässige Methode, die Seele extremer Gewalttäter zu durchleuchten, „obwohl man da in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat“, wie Dahle sagt. Als Hochrisikokandidaten gelten zum Beispiel Sexualstraftäter mit sadistischen Zügen und insbesondere die „Soziopathen“. Soziopathen (in Fachkreisen als „Psychopathen“ bezeichnet) sind kaltblütige Killer, die nach außenhin durchaus charmant auftreten können und so nicht nur ihre Opfer, sondern auch ihre Therapeuten einlullen. Sie sind intelligent und gehen absolut gewissenlos, berechnend vor. Gerade das macht sie so gefährlich. Zahlreiche Studien haben offenbart, wie tief greifend die emotionale Störung dieses Verbrechertypus ist. Beispiel: Spielt man uns gefühlsbetonte Begriffe vor wie „verstümmeln“ oder „Spaß“, kann man mit Hilfe von Hirnstrommessungen nachweisen, dass unser Gehirn auf diese Ausdrücke stärker reagiert als auf neutrale Begriffe wie „Butter“ oder „Tisch“. Das ist auch bei gewöhnlichen Verbrechern der Fall. Nur Soziopathen ist alles einerlei: Ob „Tisch“ oder „verstümmeln“ – ihr Gehirn verarbeitet beide Wörter vollkommen gleich. Der Soziopath ist für die emotionale Ebene blind wie für die Gefühle und das Leid anderer Menschen.

Lange waren die Kriminalpsychologen der Meinung, dass sich gerade Soziopathen nicht therapieren lassen. Eine ältere Untersuchung am kanadischen Hochsicherheitsgefängnis Oak Ridge legte sogar nahe, dass manche Therapie den Soziopathen sogar noch gefährlicher macht, weil ihm die darin gewonnenen Einsichten helfen, geschickter, manipulativer aufzutreten. „Neuere Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass auch Psychopathen von modernen Therapien profitieren können“, sagt Dahle.

Unklar ist, ob es sich auch bei Maik S. um einen Soziopathen handelt. Nach wie vor werden Verbrecher in Deutschland nicht systematisch auf Soziopathie hin abgeklopft. Der heute 29-Jährige soll schon vor seiner Vergewaltigung 1997 durch mehrere Delikte aufgefallen sein. Zu den Vorwürfen nimmt er nicht Stellung. Ein Geständnis will er nicht ablegen. Maik S. schweigt.

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