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Panorama: Versteckspiel mit der Polizei

Acht Monate lang war Dieter Zurwehme Deutschlands meist gesuchter VerbrecherAlexander Ratz Acht Monate lang war er der meist gesuchte Verbrecher Deutschlands. Nach seiner Flucht aus dem offenen Vollzug hielt er Hundertschaften der Polizei in Atem, die vielerorts ganze Waldstücke nach ihm durchkämmten.

Acht Monate lang war Dieter Zurwehme Deutschlands meist gesuchter VerbrecherAlexander Ratz

Acht Monate lang war er der meist gesuchte Verbrecher Deutschlands. Nach seiner Flucht aus dem offenen Vollzug hielt er Hundertschaften der Polizei in Atem, die vielerorts ganze Waldstücke nach ihm durchkämmten. Am 19. August 1999 schließlich ging er zwei Streifenpolizisten in Greifswald bei einer Routinekontrolle ins Netz und ließ sich widerstandslos festnehmen. Zwischenzeitlich soll er im März 1999 vier Menschen in Remagen erstochen haben. Wegen vierfachen Mordes muss sich der 57-jährige Dieter Zurwehme von diesem Donnerstag an vor dem Landgericht Koblenz verantworten.

Dem geständigen Angeklagten werden zudem versuchte Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und schwerer Raub vorgeworfen. Der Prozess ist das vorerst letzte Kapitel einer typischen Verbrecherlaufbahn. Doch der Fall Zurwehme erhitzte zusätzlich die Gemüter, weil viele einen Justizskandal witterten. Zurwehme war bereits 1974 vom Landgericht Aachen wegen Mordes und versuchten Raubes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach 20 Jahren Haft kam er im Oktober 1995 in die JVA Bielefeld-Senne in den offenen Vollzug. Ein psychiatrisches Gutachten hatte keine wesentlichen Bedenken dagegen erbracht.

Dennoch kamen im Nachhinein Zweifel auf: Schon ein Jahr später widerrief die Gefängnisleitung vorübergehend die Genehmigung für Ausgänge und Tagesurlaube. Bei therapeutischen Gesprächen waren "risikobehaftete Erklärungen" des Gefangenen registriert worden. Den Antrag auf vorzeitige Entlassung lehnte das Landgericht Bielefeld im August 1998 mit der Begründung ab, Zurwehme sei nach wie vor "nicht in der Lage, Schwierigkeiten und Belastungen zu erfassen und zu beherrschen".

Dennoch kam er in den offenen Vollzug zurück, absolvierte eine Lehre als Koch und arbeitete in einem Bielefelder Restaurant. Am 2. Dezember 1998 kehrte Zurwehme nicht ins Gefängnis zurück. Die Fahndung blieb zunächst erfolglos, bis es im März eine erste Spur gab: In der Nacht zum 21. März übernachtete Zurwehme gemäß Anklageschrift in einer Villa in Remagen, die sich im Umbau befand. Am Morgen wurde er von dem 71-jährigen Besitzer überrascht. Laut Anklage fesselte Zurwehme den Mann, knebelte und erstach ihn.

Danach soll er sich Zugang zur Wohnung seines Opfers verschafft haben. Dort traf er die 59-jährige Ehefrau des Villa-Besitzers, deren 67-jährigen Bruder und dessen 60 Jahre alte Frau an. Mit ihnen soll Zurwehme wie mit dem 71-Jährigen verfahren sein: Er fesselte und knebelte sie und fügte ihnen tödliche Messerstiche zu. Mit 8000 Mark soll er die Wohnung dann verlassen haben.

Schon mit zwölf Jahren stand der am 2. Juli 1942 in der ostwestfälischen Gemeinde Ottbergen bei Höxter geborene Dieter Zurwehme wegen versuchten Raubes erstmals vor Gericht. Nach seiner Verurteilung zu einer Jugendstrafe gelang dem Jungen die Flucht. Er schloss sich der französischen Fremdenlegion an. Doch weil er bei seiner Aufnahme dort falsche Altersangaben gemacht hatte, musste er die Legion wieder verlassen.

Aus Geldnot überfiel Zurwehme 1972 ein Immobilienbüro und erstach eine Mitarbeiterin. Bei dem anschließenden Prozess stellte das Schwurgericht fest, die Taten seien "geprägt von einem hohen Maß an Niederträchtigkeit und Gefühlsrohheit". Zurwehme habe "gnadenlos getötet". Diese Eigenschaften waren bei den Taten von Remagen offenbar wieder am Werk. Angehörige der Mordopfer haben inzwischen Anzeige gegen den nordrhein-westfälischen Innenminister Fritz Behrens wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gestellt. Nach Presseberichten soll ein Gefängnispsychologe noch im Herbst 1996 mindestens sechs Mal schriftlich davor gewarnt haben, den Strafvollzug für den Gewaltverbrecher zu lockern. Und noch ein Aspekt sorgte im Fall Zurwehme für Aufregung: Am 27. Juni 1999 erschossen Polizeibeamte in einem Hotelzimmer in Nordhausen in Thüringen einen 62-jährigen Urlauber aus Köln, weil sie ihn für Zurwehme hielten. Der tödliche Irrtum bleibt wohl ungeahndet. Die Ermittlungen gegen die Beamten wurden im Dezember eingestellt.

Alexander Ratz

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