zum Hauptinhalt
Gut 60 Kilometer von der Kleinstadt Aralsk entfernt liegt ein Wrack auf dem Grund des ausgedörrten Aralsees, der nun von Kamelen begangen wird.

© AFP

Versteppung, Wassermangel, Überdüngung: Der Aralsee verschwindet

Der Aralsee war mal das viertgrößte Binnengewässer der Welt. Jahrelange Misswirtschaft bedroht ihn – und damit ganz Zentralasien. Die Anrainer schlagen Alarm.

Einst war er das viertgrößte Binnengewässer der Erde – nun droht der Aralsee endgültig von der Landkarte zu verschwinden. Die Austrocknung des an der Grenze von Usbekistan zu Kasachstan liegenden Sees ist eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte der Menschheit.

Vergangene Woche hatte Usbekistans Präsident Islam Karimow eine internationale Experten- und Geberkonferenz zur Rettung des Aralsees gefordert. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der 2010 selbst am Ort der Katastrophe war, legte jetzt mit einer Video-Erklärung nach: Der See werde in Kürze nicht mehr vorhanden sein, mit unabsehbaren Auswirkungen auf das Leben von Millionen Menschen in der Region.

Der zu einem Salzsumpf geschrumpfte Wüstensee, über dem sich keine Wolken mehr bilden können, hat das Klima einer Region verändert, deren Fläche größer ist als die Europas. Die Sommer werden immer heißer und trockener, die Winter rauer. Sandstürme wirbeln Salzstaub von dem durch Trockenrisse zerfurchten Seeboden auf, tragen ihn auf die Felder, die dadurch unfruchtbar werden. Bauern versuchen, Versteppung und Wassermangel durch Überdüngung und den exzessiven Einsatz von Pestiziden zu kompensieren. Die Gifte dringen in das Grundwasser ein, verursachen Krebs, lassen Babys viermal häufiger sterben als beispielsweise durchschnittlich in Russland und dezimieren Schafs- und Kamelherden. Die Lebensgrundlage der Menschen in der Kysylkum, der Wüste des roten Sandes, ist zerstört. Ganze Dörfer sind bereits verödet.

Inzwischen erreichen die Salzstürme sogar das Pamir- und das Tienschan-Gebirge und lassen die Gletscher schmelzen. Hochwasserkatastrophen häufen sich: Durch die Dürre versandet, können die Flüsse die Wassermassen, die plötzlich von den Bergen kommen, nicht mehr aufnehmen.

Vor den Augen der Menschheit geht gerade der letzte Akt eines Umweltdramas über die Bühne, das noch vor einem Vierteljahrhundert hätte gestoppt und teilweise sogar rückgängig gemacht werden können. Es begann mit größenwahnsinnigen Bewässerungsplänen der Sowjetunion. Um die landwirtschaftlich nutzbare Anbaufläche zu vergrößern, ließ Stalin die beiden einzigen Aral-Zuflüsse 1929 anzapfen: den Syr-Darja, der den kleinen Nord-Aral speist und den Amu- Darja, der in den großen Süd-Aral mündete. Seit 1967 verblutet er langsam auf den Baumwollfeldern. Als willkommener Devisenbringer wird Baumwolle in weiten Teilen Zentralasiens in Monokultur angebaut – obwohl sie deutlich durstiger ist als Weizen. Um den permanenten Wassermangel zu beheben, begann Moskau 1954 mit dem Bau des 1500 Kilometer langen Karakum-Kanals. Dreizehn Jahre später wurde der Kanal eingeweiht. Seither stiehlt er dem Amu-Darja mehr als die Hälfte seines Wassers.

Als klägliches Rinnsal verröchelt der Dscheichun – der Tollwütige –, wie die Usbeken den Fluss nennen, inzwischen viele Kilometer vor der einstigen Mündung im Sand. Und von Muinak, einem einst blühenden Fischerdorf am Aral, waren es 2012 fast 400 Kilometer bis zum Wasser. Den Weg dorthin säumen verrostete Schiffswracks.

1978 stach der Fischer Ortabay zum letzten Mal in See. Den Rückweg ein paar Tage später, sagt er, habe die Besatzung teilweise zu Fuß zurückgelegt, in hüfthohen Gummistiefeln. Die brauchten sie nur dort, wo ihr Schiff auf Sand lief. Ein paar hundert Meter weiter reichte ihnen das Wasser nur noch bis zum Knie.

Zum ersten Mal seit dem Mittelalter ist der östliche Teil des seit Jahrzehnten schrumpfenden Aralsees in diesem Jahr komplett ausgetrocknet.
Zum ersten Mal seit dem Mittelalter ist der östliche Teil des seit Jahrzehnten schrumpfenden Aralsees in diesem Jahr komplett ausgetrocknet.

© Nasa

Dass die Sowjets eine solch gigantische Umweltkatastrophe ausgelöst hatten, ahnten bis 1991 nicht einmal deren Bürger – der Aral war Sperrgebiet. Auf seinen Inseln wurden biologische und chemische Waffen entwickelt. Zu sehen bekam man ihn nur auf dem Flug von Taschkent nach Moskau. Bei Ortabays letztem Törn 1978 schon akut gefährdet, dehnte er sich dennoch für mehrere Flugminuten in strahlendem Türkis aus. Nur zehn Jahre später war seine Oberfläche von einst 68 000 auf 42 000 Quadratkilometer geschrumpft, der Salzgehalt höher als in den Ozeanen. 1990 war die Verlandung bereits so weit fortgeschritten, dass der See in drei voneinander getrennte Becken zerfiel. 2013 waren 90 Prozent des Süd-Arals trocken, auch, weil ihn seit 2005 ein Damm abriegelt. Kasachstan baute ihn mit Unterstützung der Weltbank, um den Nord-Aral zu retten. Dazu wurde auch der Syr-Darja renaturiert.

Seit der Fluss dem Kleinen Aral wieder die einstige Wassermenge zuführt, steigt sein Spiegel rasant, der Salzgehalt ist deutlich gesunken. Sogar Süßwasserfische wie Karpfen und Welse kehren zurück. An einigen Stellen hat der See schon die alte, um bis zu 75 Kilometer verschobene Küstenlinie wieder erreicht, es bilden sich wieder Regenwolken.

Doch die Schleusen zum usbekischen Südteil öffnet Kasachstan nur um Salze und Gifte abfließen zu lassen. Allein mit dem Wasser des Syr-Darja, so die Begründung, sei der Große Aral nicht zu retten. Dazu müssten Usbekistan und Turkmenistan, das dem See über Amu-Darja und Karakum-Kanal das meiste Wasser entzieht, auf Bewässerung verzichten. Doch alternative Möglichkeiten sind kaum vorhanden oder für das arme Usbekistan deutlich zu teuer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false