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Künstliche Befruchtung. Eine menschliche Eizelle wird zu Demonstrationszwecken injiziert.

© pa/dpa

Vertauschte Zwillinge: Italiens Justiz spricht Kinder der austragenden Mutter zu

Nach einer Verwechslung bei einer künstlichen Befruchtung in Italien hat die Justiz zugunsten der Frau entschieden, die die Zwillinge ausgetragen hat.

Tiefblaue Augen sollen sie haben und ein paar kastanienbraune Haare. Noch nicht einmal zwei Wochen sind sie alt; sie sind Brüderchen und Schwesterchen, sie haben einen Familiennamen – und Eltern gleich im Überfluss. Sie sind vertauscht worden, die beiden, aber nicht in der Wiege, sondern schon neun Monate zuvor. Zwei Paare waren es im Dezember 2013, die sich in der staatlichen Pertini-Klinik in Rom per künstlicher Befruchtung ihren Kinderwunsch erfüllen wollten. Ein Versehen – und der einen Frau wurden die Embryonen des anderen Paares eingesetzt.

Erfolgreich, und tragisch. Denn schon während der Schwangerschaft stellte sich die Panne heraus. Und jetzt: Wem gehören die Kinder? Silvia Albano, die Zivilrichterin, die nach Geburt der Zwillinge das Urteil sprach, betonte, dass sie Gesetze „interpretieren“ musste, die hinter den Möglichkeiten heutiger Elternschaft zurückgeblieben sind.

Die unumstößliche Juristengewissheit „mater semper certa“, also dass (wenigstens) die Mutter immer feststehe, trägt nicht mehr. Wer ist Mutter in diesem Falle: die genetische? Oder die das Kind ausgetragen hat? Richterin Albano sprach Letzterer die Kinder zu, sich erstens an den Codice Civile haltend, das italienische BGB, demzufolge „Mutter ist, wer das Kind gebiert“, zweitens die „enge Beziehung“ betonend, die schon im Uterus zwischen den beiden entstehe – und eben nicht außerhalb. Ferner seien bereits in den paar Tagen nach der Geburt „bedeutende Gefühlsbindungen zwischen den Kindern und deren Familie“ gewachsen. Die „falsche“ Mutter ist demnach für das Kindeswohl die richtige.

Genetische Eltern fühlen sich betrogen

Das andere Paar fühlt sich um seine Leibesfrüchte betrogen. „Nur den anderen beiden werden Gefühle gegenüber den Zwillingen zugebilligt; dabei lieben wir sie genauso“, sagen sie. Der Mann, ganz unstrittig der Erzeuger, werde gehindert, seine Vaterschaftsrechte geltend zu machen. Über ihre Anwälte haben sie beantragt, die Babys bis zur Klärung der Sache „in eine geeignete Einrichtung“ zu geben, oder ihnen, als den genetischen Eltern, wenigstens ein Besuchsrecht zu gewähren. Weil Albano das zurückgewiesen hat, wollen sie das alles bis zum Europäischen Gerichtshof durchfechten.

Nun melden sich Juristen zu Wort: Die Konturen der klassischen Familie lösten sich auch in Italien längst auf, also müsse man für das optimale Zwillingswohl eine „erweiterte Familie“ schaffen. Professor Amedeo Santosuosso aus Pavia sagt: „Der Grundsatz, dass legitime Mutter nur sein kann, wer das Kind zur Welt bringt, muss für verfassungswidrig erklärt werden.“ So etwas hätten sich die Väter der italienischen Verfassung wohl nie träumen lassen.

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