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Vertuscht und verschwiegen: Melamin-Skandal weitet sich aus

China gibt zu, dass die Zahl der kranken Kinder viel höher ist, als bisher zugegeben. Jetzt wurde auch in Deutschland Melamin in chinesischem Hirschhornsalz gefunden. Die betroffenen Waren werden zurückgerufen.

Vergangene Woche wollte sich Chinas Gesundheitsminister Chen Zhu in Peking der ausländischen Presse stellen, zum ersten Mal seit dem Anfang September bekannt gewordenen Skandal um verseuchte Babymilch, in dem seine Behörde denkbar schlecht aussah. Doch dann mied der Minister im letzten Moment doch wieder die Öffentlichkeit. Triftige Gründe gab Chen nicht an, aber höchstwahrscheinlich wusste er zu diesem Zeitpunkt längst, was der Rest der Welt erst viel später erfahren sollte: Die Zahl der Babys, die an der Industriechemikalie Melamin erkrankten, ist um ein vielfaches höher, als die Regierung monatelang angegeben hat. War bisher von 50 000 Erkrankten die Rede, so sprang die Statistik nun auf 294 000. Die Zahl der Todesopfer wurde von drei auf sechs erhöht. Melamin, das als Bindemittel in Klebstoffen oder Düngemittel verwendet wird, war von Händlern in gepanschte Milch gemischt worden, um einen höheren Eiweißgehalt vorzutäuschen. Der Stoff löst bei kleinen Kindern Nierensteine aus.

51 900 Kleinkinder mussten stationär behandelt werden. 861 Säuglinge liegen noch immer mit Nierenproblemen im Krankenhaus, davon 154 in einem schlechten, aber stabilen Zustand. Warum die Zahlen erst jetzt bekannt gegeben wurden, erklärte das Gesundheitsministerium nicht. Das verlorene Vertrauen dürfte Chen damit kaum wiedergewinnen. Der Milchskandal hatte in China wütende Reaktionen ausgelöst, nachdem bekannt geworden war, dass die Behörden schon seit dem Frühjahr über den Fall informiert waren, aus Rücksicht auf Chinas Selbstdarstellung vor den Olympischen Spiele aber untätig blieben. Die Regierung setzt chinesische Anwälte seit Monaten unter Druck, keine Schadensersatzklagen von Opfern anzunehmen. In den Fall waren viele der größten Molkereikonzerne Chinas verwickelt; außerdem tauchte Melamin auch in Eiern auf.

Auch im Ausland kamen verseuchte Lebensmittel auf den Markt, unter anderem in Deutschland. So erklärte das baden-württembergische Verbraucherministerium am Dienstag, Melamin sei in aus China importiertem Hirschhornsalz gefunden worden. Hirschhornsalz wird als Lebensmittelzusatzstoff für Backwaren wie Lebkuchen verwendet. Der Mitteilung zufolge wurden in insgesamt 28 Proben fünf Produkte mit Melamingehalten zwischen 200 und 470 Milligramm pro Kilogramm festgestellt. Dies entspreche nicht den Reinheitsanforderungen nach dem Lebensmittelrecht, erklärte das Ministerium. Allerdings gehe von der Dosis keine Gesundheitsgefahr aus. Die betroffenen Waren werden zurückgerufen.

China bekommt das internationale Misstrauen gegenüber seinen Lebensmitteln inzwischen voll zu spüren. Im Oktober brachen die Exporte von Molkereiprodukte um 92 Prozent ein, heißt es in einem Bericht des chinesischen Zolls. Auch die Ausfuhren von Fleisch und anderen Agrarprodukten sind betroffen.

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