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Panorama: Virus selbst gemacht

Gen-Pionier Craig Venter hat in Rekordzeit einen Organismus geschaffen – diese Technik könnte zur Waffe werden

Gen-Guru Craig Venter macht wieder von sich reden. Das neueste Projekt des amerikanischen Forschers: Designer-Genome. Am Ende sollen Mikroben nach Maß stehen, die Atommüll verdauen, Klimagase binden und Wasserstoff ohne Ende produzieren. Einen Anfang hat Venter nun gemacht. Ein Forscherteam seines „Instituts für biologische Energie-Alternativen“ in Rockville/Maryland setzte in Rekordzeit das komplette Erbgut eines Virus zusammen, das danach im Stande war, sich zu vermehren.

Bei dem Virus handelt es sich um den Bakteriophagen phi-X174, einen Veteranen der molekularbiologischen Forschung. Es war das erste Virus, dessen aus DNS bestehende Erbinformation Buchstabe für Buchstabe 1978 entziffert wurde. Schon 1967 konnte phi-X174 im Reagenzglas künstlich vermehrt werden. Bakteriophagen befallen nur Bakterien und sind für Mensch, Tier und Pflanze unschädlich.

Hat Venter mit phi-X174 nun Leben aus dem Nichts geschaffen? Zumindest hat er einen bemerkenswerten Schritt in diese Richtung getan, nämlich einen 5000 Basen langen Erbgutstrang nach einem vorgegebenen Plan nachgebaut. Auf der anderen Seite steht fest, dass ein Erbgutfaden für sich genommen noch kein Leben darstellt, auch wenn er sich selbst unter geeigneten Bedingungen vermehren kann. Aus sich heraus können Viren das nicht, denn sie besitzen keinen eigenen Stoffwechsel und gleichen somit eher parasitären Nanomaschinen.

Bekannt wurde Craig Venter mit seiner Genom-Dechiffrier-Firma Celera, mit der er das öffentlich geförderte Human-Genomprojekt herausforderte. Die Idee, Leben vom Reißbrett zu schaffen, treibt den dynamischen und provokativen Wissenschaftler seit Jahren um. 1999 präsentierte er ein künstlich geschrumpftes Bakterien-Genom. Eine Mikrobe namens Mycoplasma genitalium war unter Venters Anleitung dazu imstande, sich mit lediglich 300 Erbanlagen (Genen) am Leben zu erhalten und zu vermehren. Zum Vergleich: das nun künstlich hergestellte Virus-Erbgut von phi-X174 enthält elf Gene.

Für Venter ist der Nachbau des Mini-Genoms von phi-X174 nur der erste Schritt. Er plant, größere Genome aus einzelnen DNS-Modulen zusammenzusetzen. Ziel ist es, einen Mikroorganismus zu konstruieren, der ökologische oder medizinische Aufgaben erfüllen soll, gewissermaßen ein mikroskopisches Nutztier. Aber das setzt voraus, dass ein künstliches Erbgut in eine bereits existierende Zelle verpflanzt werden muss. „Ein ziemlich schwieriges Unterfangen“, sagt Eckard Wimmer von der Staatsuniversität von New York in Stony Brook.

Wimmer hatte bereits im August 2002 eine Aufsehen erregende Studie veröffentlicht. Im Fachblatt „Science“ berichtete er, die Erbsubstanz des Poliovirus, des Erregers der Kinderlähmung, nachgebaut und vermehrt zu haben. Allerdings brauchte Wimmer viele Monate, um den Erbfaden zusammenzustückeln – Venter nur zwei Wochen.

Damit stellte Venter erneut unter Beweis, dass er der „Michael Schumacher der Genforschung“ ist, wie der Bioethiker Arthur Kaplan feststellte. Um die mehr als 5000 Basen des Bakterienvirus zusammenzusetzen, benutzte er eine neue Technik namens „PCA“, eine Art aufgebohrte Version der Polymerase-Kettenreaktion. Die Polymerase-Kettenreaktion dient dazu, DNS in großem Maßstab zu kopieren. Die neuartige PCA nun fügt die einzelnen DNS-Schnipsel zu kompletten Erbfäden zusammen. Diese Fäden wurden in Bakterien eingeschleust und benutzten hier die biochemische Maschinerie ihrer Wirtszellen, um zu Viren heranzureifen.

Schon Wimmers Nachbau des Kinderlähmungsvirus hatte Kritiker auf den Plan gerufen, die die Gefahr des Bioterrorismus witterten. Und nun könnte Venter potenziellen Übeltätern auch noch gezeigt haben, wie man ein Genom schnell und effektiv biochemisch zusammenlötet.

Venter selbst sieht das naturgemäß etwas anders. Er weist darauf hin, dass das von ihm erzeugte Virus völlig harmlos ist und dass sein Verfahren großen Nutzen für die Menschheit in sich berge. „Es ist vorstellbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft speziell designte Mikroben in den Schloten von Kohlekraftwerken leben und die Abgase von Schmutz und Kohlendioxid reinigen“, schwärmte der amerikanische Energieminister Spencer Abraham bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Venter in Washington. Abrahams Ministerium unterstützt Venters Firma mit Millionenbeträgen.

Noch ist ungewiss, ob wirklich eines Tages Designer-Bakterien die Erde von Unrat reinigen oder uns mit Energie und Medikamenten versorgen. Schon heute aber bereiten die künstlichen Organismen manchem Zeitgenossen philosophisches Magenknurren. Es sei ernüchternd, dass „Laboranten ein Virus aus dem Nichts schaffen könnten“, kommentierte James LeDuc von der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC in Atlanta die Erzeugung des Kinderlähmungsvirus vor einem Jahr. Das Leben wird entzaubert, meint der Bioethiker Kaplan. Es besteht aus komplizierten chemischen Abläufen, die eines Tages künstlich erzeugt werden können.

Damit wandelt sich unser Bild von der Natur aufs Neue. Denn vor 140 Jahren korrigierte der französische Bakterienforscher Louis Pasteur die damals noch gängige Vorstellung, dass Lebewesen gleichsam aus dem Nichts entstehen können. Vielleicht werden eines Tages Pasteurs wissenschaftliche Nachfahren ihn wiederum eines Besseren belehren.

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