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Hauen und Stechen. Und dann Fröhlichsein: Die internationale „Reenactment“-Szene kam nach Leipzig, um die Völkerschlacht nachzustellen. Foto: dpa

© epd

Völkerschlacht-Reenactment: Und am Ende wird getrunken

Erst gibt's Kriegsgeschrei - dann Kartoffelschnaps. Vor den Toren Leipzigs spielen 6000 Napoleon-Fans aus aller Welt die Völkerschlacht nach. Manch einer kritisiert das martialische Schauspiel. Doch die Reenactment-Fans haben gute Gründe für ihr Spektakel.

Bewaffnete Landwehr in der Straßenbahn Richtung Süden. Kein Durchkommen auf den Zufahrtsstraßen zum Schlachtfeld. Stau auf der Autobahn 38. Es ist Krieg und alle wollen hin.

Rund 30 000 Zuschauer waren am Sonntag dabei, als die internationale Reenactment-Szene südlich von Leipzig die Völkerschlacht nachspielte. Eins der größten Gemetzel aller Zeiten, mit Kanonendonner und Qualm, mit Kriegsgeschrei und Theaterblut. Warum sehen sich die Leute das an? „Die Kostüme sind klasse“, sagt Ewald, 56, Ingenieur aus Thüringen. Und die 25-jährige Nora, Studentin aus Leipzig, ist aus Neugier gekommen und fasst es kaum: „Unglaublich, hier sind Menschen aus allen Ländern.“ Allerdings stößt die Völkerverständigung im Zuschauerbereich an ihre Grenzen. Der Lärm ist höllisch.

Vor 200 Jahren kreisten die vereinigten Armeen von Russland, Preußen, Österreich und Schweden das Heer des französischen Kaisers Napoleon in Leipzig ein. Die Innenstadt erlebte einen brutalen Häuserkampf. In der heutigen Boutiquenmeile und Starkbierzone türmten sich Leichenberge. Das alles nachzuspielen, wäre doch zu heftig gewesen. Deshalb hat der Verband „Leipzig 1813“ das Kampfgeschehen von drei Tagen auf vier Stunden eingedampft. Die vier Zuschauertribünen für 7000 Menschen waren schon vor Wochen ausverkauft.

Die Gefechtsdarstellung auf 500 000 Quadratmetern historischem Schlachtfeld ist Höhepunkt der Leipziger Gedenkveranstaltungen zur Völkerschlacht vor 200 Jahren: 6000 Kostümierte aus 24 Ländern kämpfen mit. Kostümaufzüge zum Völkerschlacht-Jahrestag gibt es in Leipzig zwar jedes Jahr. Zum Doppeljubiläum wächst das Spektakel aber auf nie dagewesene Größe: 6000 machen mit.

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Wochenlang schon redeten sich Experten die Köpfe heiß, ob das angemessen sei, um an eine Schlacht mit 100 000 Opfern zu erinnern. Kritikern warfen den uniformierten Geschichtsfans Kriegsverherrlichung vor. Die schossen zurück, es gehe ihnen um eine Art drastischer Friedenserziehung.

Die Stadt Leipzig veranstaltete eine Gedenkwoche mit Häppchen für jeden Geschmack, vom Gedenkgottesdienst über die gediegene Expertenrunde bis zum Live-Gefecht. Der Heimatsender MDR flankierte die Gedenkwoche mit einem neuen Geschichtsformat: Brennpunkt- Berichte vom Schlachtfeld, bei dem Reporter in Outdoorjacken frisch vertriebenen Familien Mikros unter die Nase hielten und das Jahr 1813 ins Twitter-Zeitalter hoben.

In die sonst so friedlichen Weinteichsenke bei Markkleeberg haben die Kulissenbauer ein Dörfchen gestellt, das im Laufe des Nachmittags von den Franzosen erobert und später von den Alliierten wieder zurückerobert wird. Das verspricht zwar Action, dennoch fehlt dem Ganzen der letzte Hauch Echtheit: Hier wird kein Schicksalskampf um Leben und Tod und Landgewinn über die Bühne gezogen. Hier steigt ein großes Volksfest. Draußen auf der Festmeile wird völkerverbindender Kartoffelschnaps ausgeschenkt. Und alle Kriegsparteien trinken mit.

Fortschritt gegenüber dem Echt-Ereignis von 1813 ist, dass diesmal keine 92 000 Menschen sterben müssen. Stattdessen gibt es hinterher eine gemeinsame Gedenkminute für die Gefallenen von einst. Und die Krieger erholen sich am Lagerfeuer.

Christine Keilholz

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