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Panorama: Vogelgrippe – droht eine weltweite Epidemie?

Zum ersten Mal hat sich das Virus von Mensch zu Mensch übertragen, fürchten Experten. Damit ließe es sich kaum noch beherrschen

In Thailand ist das Vogelgrippe-Virus nach Angaben der Regierung und der Weltgesundheitsorganisation WHO vermutlich erstmals von Mensch zu Mensch übertragen worden. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass eine verstorbene 26-Jährige sich bei ihrer elfjährigen Tochter infizierte, wäre dies die erste offiziell belegte Ansteckung von Mensch zu Mensch.

Vogelgrippe war früher eine Krankheit, die nur Geflügel befiel. Seit sieben Jahren ist belegt, dass sich auch Menschen über die Tiere infizieren können. Die Todesrate ist deutlich höher als bei einer normalen Grippe, wie Europa sie alle Jahre erlebt. Von den 39 im Labor nachgewiesenen Vogelgrippen-Infektionen in diesem Jahr führten 29 zum Tod.

Neue Beunruhigung löst jetzt die Nachricht von der Thailänderin aus, die sich bei der Tochter angesteckt haben soll.

Das wäre eine völlig neue Qualität. Wenn sich das Vogelgrippe-Virus nicht mehr nur vom Huhn auf den Menschen überträgt, sondern vom Menschen auf den Menschen, stiege die Infektionsgefahr dramatisch an. Bisher konnten sich Reisende in Asien schützen, indem sie Geflügelmärkte und Bauernhöfe mieden. Auch in den betroffenen Ländern selbst konnte die Ausbreitung kontrolliert werden, indem große Geflügelbestände vernichtet wurden. Wenn nun das Vogelgrippe-Virus von Mensch zu Mensch übertragbar ist – so wie die normale Grippe – stände ihrer schnellen und weltweiten Ausbreitung nichts mehr im Wege. Die offizielle Bezeichnung für das Vogelgrippe-Virus lautet H5N1.

Das Erbmaterial der menschlichen und der tierischen Vogelgrippe-Viren unterscheidet sich deutlich. Das ist auch der Grund dafür, dass bisher noch kein Mensch, der sich mit einem Vogelvirus infizierte, eine Infektionskette bei seinen Mitmenschen in Gang setzen konnte. Trotzdem hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon Ende Januar dieses Jahres gewarnt: Wenn es der Vogelgrippe eines Tages gelänge, sich von Mensch zu Mensch weiterzuverbreiten, drohe eine seuchenartige Verbreitung der Infektionskrankheit, die Zahl der Todesopfer könnte in die Millionen gehen.

Ist dieser Tag gekommen? Das Szenario der WHO war, aus dem Verantwortungsbewusstsein dieser obersten Gesundheitsbehörde heraus, ein Worst-Case-Szenario. Die WHO wollte keine Panik schüren. Doch zwei Eigenschaften aller Grippeviren können für die Menschheit gefährlich werden: Ihr Hang zum Versteckspiel, zur immer wieder neuen „Verkleidung“ ihrer Oberfläche. Kleine Veränderungen der Erbinformation machen es nötig, dass in jeder Saison auch der Impfstoff erneut maßgeschneidert und in großen Mengen hergestellt werden muss. In diesem Wettlauf hinkt der Mensch zeitlich immer hinterher. Das zweite Problem besteht darin, dass die Erbinformationen der Influenza-Viren in viele kleine Segmente unterteilt sind. Infiziert sich ein Lebewesen gleichzeitig mit zwei Subtypen aus der großen „Familie“ der Grippe-Viren, so können durch Austausch und Kombination der Elemente Viren mit neuartigen Eigenschaften entstehen. Das könnte auch geschehen, wenn Schweine, die für menschliche und Vogel-Viren anfällig sind, sich gleichzeitig mit beiden infizieren. Das Immunsystem kennt die „Neuen“ noch nicht. Es hat keine Waffen gegen sie geschmiedet.

Bisher sind das nur Befürchtungen. Auch im jetzigen Fall aus Thailand ist noch nicht endgültig wissenschaftlich bewiesen, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch vorliegt. Alle Familienmitglieder könnten sich jeweils einzeln bei Tieren infiziert haben.

Selbst wenn in diesem Fall eine Übertragung von Mensch zu Mensch bestätigt werden sollte, bestände noch eine Chance, dass es nicht zu einer Pandemie unter Menschen kommt, hieß es jetzt bei der WHO. Vogelviren können nämlich im Einzelfall vom Tier auf den Menschen überspringen, ohne dass damit eine wirkliche Infektionskette beginnt. Schon 1997 sind im Blut von Pflegern, die sich um Vogelgrippe-Opfer bemühten, Antikörper festgestellt worden, ohne dass sie weitere Personen infizierten.

Bis auf weiteres hält es auch Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts, für wahrscheinlich, dass es sich auch diesmal um eine solche Sackgasse handelt. In Einzelfällen könnte das Virus dann von Mensch zu Mensch überspringen, es hat sich aber noch nicht so weit verändert, dass es jeden Menschen befallen kann. Gefährlich würde es erst, wenn sich jetzt in den detaillierten Laboruntersuchungen herausstellen sollte, dass das Virus sich schon massiv verändert und dem menschlichen Umfeld „optimal“ angepasst hat.

Die WHO mahnte schon im Frühjahr die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs für diesen Fall an. In den USA sind die Forschungen zu dessen gentechnischer Herstellung im Gange.

Adelheid Müller-Lissner

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