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Panorama: Volkes Stimme

Italiens Hymne ist gar keine, jedenfalls nicht im Gesetz. Gesungen wird sie vor allem im Fußballstadion.

Italien hat zwar keine Nationalhymne, aber diese wird jetzt verpflichtend in den Schulen gelehrt. So hat es, in gesetzgeberischem Purzelbaum, das Parlament beschlossen. Volkes Stimme im demokratischsten Sinne des Wortes. Denn das Lied, um das es geht, ist seit der siegreichen Fußballweltmeisterschaft von 2006 zum nationalen Stadionbrüller avanciert. Mit eingebautem Trommelwirbel, den selber singen muss, wer gerade keine Trommeln zur Hand hat. Ohne funktioniert „Mamelis Hymne“ nämlich nur halb so gut.

Der Text ist 165 Jahre alt; gedichtet hat ihn in jugendlich-romantischem, nationalistisch-revolutionärem Stimmungsgebraus der Genueser Student Goffredo Mameli. Von Scipios Sieg über Hannibal bis zur Rebellion gegen die habsburgischen Besatzer reitet er in blühender Fantasie die gesamte römische Glorie von 2100 Jahren ab. Dieses Rom, triumphiert Mameli, habe sich gar die Siegesgöttin selbst unterworfen: „Her mit ihrer Mähne! Sklavin Roms ist sie!“

Die Melodie zu „Mamelis Hymne“ ist ein fröhlich-schmissiger Marsch, aber den reichlich verzopften Text mochte lange Zeit kaum jemand mehr. Gut, die Rechten sangen ihn; die Linken bevorzugten die „Internationale“; die Norditaliener, die sich je länger je weniger keinem Rom mehr unterwerfen wollten, wichen beim Hymnensingen auf den „Gefangenenchor“ aus Verdis Oper „Nabucco“ aus. Die Südtiroler brachten das Lied ihrer Unterwerfer sowieso nie über die Lippen, und in den Fußballstadien blamierte sich eine Nationalelf nach der anderen, weil die Mundbewegungen – wenn die „Azzurri“ überhaupt welche tätigten – in weltweit fernsehbarer Weise rein gar nichts mit dem Lied zu tun hatten.

Überhaupt war „Mamelis Hymne“, wie sie verschämt noch im neuesten Gesetz heißt, nie wirklich Nationalhymne. Irgendeine provisorische Regierung in der vielfach provisorischen Nachkriegszeit hatte zum Thema mal ein provisorisches Gesetz erlassen, aber das galt nie so richtig, und am politisch organisiertem Widerstand der Norditaliener sind alle Versuche gescheitert, Mameli in die Verfassung zu schleusen – auch dann noch, als das Volk die Hymne nach der Fußball-WM 2006 regelrecht an sich gerissen hatte.

2011 wurde dann auch noch, unter erstaunlich großer Volksbeteiligung, der 150. Jahrestag der staatlichen Einigung Italiens gefeiert, und vom damit doppelt patriotischen Schwung hat jetzt auch Mameli profitiert. Die offizielle Beförderung zur Nationalhymne ließ sich zwar immer noch nicht durchsetzen, aber die Lehrer an den Schulen müssen ihren Schülern jetzt wenigstens den Text beibringen – und ihn analysieren. Denn wer versteht heute schon, was „Scipios Helm“ bedeutet, mit dem sich Rom im Lied „das Haupt geziert“ hat? Oder die „verkauften Schwerter“? Oder die Sache mit dem Adler und den Glocken?

Dass die Schüler die Ballade zum Ruhme Roms auch singen müssten, davon steht nichts im Gesetz – aus Rücksicht auf Norditaliener und Südtiroler. Aber das Singen, das erledigen Stadion und Straße auch ohne Befehl. Besonders laut wird es regelmäßig bei den Versen: „Schließen wir die Reihen! Wir sind bereit zu sterben, Italien hat gerufen!“ Dann recken sie die Fäuste in die Luft und brüllen ein finales „Ouh!“ hinterher. Das ist im Originaltext zwar nicht vorgesehen, es kommt aber gut. Martialisch gut.

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