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Panorama: Volle Fahrt in die Kaimauer

Bei einem schweren Fährunglück vor New York starben mindestens zehn Menschen – die rechte Seite des Stahlschiffes wurde aufgeschlitzt

Von Matthias B. Krause,

New York

Die Fähre nach Staten Island fehlt in keinem New Yorker Reiseführer, weil sie als die billigste Möglichkeit gilt, die im Hudson gelegene Freiheitsstatue aus der Nähe zu besichtigen. Doch am Mittwochnachmittag wurde aus dem kostenlosen Ausflugstrip eine Fahrt in den Tod. Bei schwerem Wind krachte das 90 Meter lange, mit rund 1500 Menschen besetzte Schiff praktisch ungebremst in eine Kaimauer. Mindestens zehn Menschen starben, 42 Passagiere erlitten zum Teil schwerste Verletzungen. Als Ursache vermuten die Behörden menschliches Versagen. Der Zweite Kapitän, der das Schiff wie üblich gesteuert hatte, flüchtete von der Unfallstelle und unternahm einen Selbstmordversuch. Er befindet sich nach Polizeiangaben in einem kritischen Zustand.

Die „Andrew J. Barberi“ legte pünktlich um 15 Uhr Ortszeit vom Pier an der Südspitze Manhattans ab. Die Fahrt durch das an diesem Tag raue Wasser des Hudson Rivers bis an die Nordspitze von Staten Island dauerte wie üblich 25 Minuten. Das Wetter war ungewöhnlich kalt, Windböen mit Geschwindigkeiten von fast 100 Stundenkilometern jagten über das Wasser. Weil der Feierabendverkehr noch nicht eingesetzt hatte, war das 6000 Passagiere fassende Schiff nur zu einem Viertel besetzt. Als es auf den Anleger zusteuerte, so berichteten viele Augenzeugen in den Medien später, verlor es nicht an Fahrt und befand sich auf einem merkwürdigen Kurs mehr als hundert Meter östlich vom Anleger. Sekunden später krachte es mit voller Wucht in einen Service-Pier.

Die rechte Seite des Stahlschiffes wurde oberhalb der Wasserlinie wie von einem Dosenöffner aufgeschlitzt. Auf dem unteren Deck drangen Stahlträger und schwere Holzbalken in den Innenraum. Die Menschen flohen in Panik in den hinteren Teil der Fähre und versuchten, Schwimmwesten anzulegen. Einige sprangen ins Wasser. Nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten geschah das Unglück ohne Vorwarnung. Auch hinterher blieben die Passagiere lange im Unklaren darüber, wie sie sich verhalten sollten. Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, bis Schlepper das schwer beschädigte Schiff an seinen Anleger brachten und die Menschen den Unglücksort verlassen konnten. Bürgermeister Michael Bloomberg eilte von einem Baseballspiel nach Staten Island. „Menschen auf dem Heimweg sind plötzlich von uns gerissen worden“, sagte der Bürgermeister, „unsere Gebete gehen an die Familien der Toten und Verletzten.“

Was sich kurz vor dem Unglück auf der Brücke abspielte, beschreiben die Zeitungen am nächsten Tag so: Fest steht, dass der zweite Kapitän Richard J. Smith, 55, das Schiff steuerte. Als er merkte, dass die Fähre vom Kurs abkam, versuchte Kapitän Michael Gansas das Kommando zu übernehmen. Smith habe jedoch nicht auf seinen Befehl reagiert, und selbst habe er das Unglück nicht mehr verhindern können. Als die Fähre schließlich in ihren Anleger geschleppt worden war, verließ Smith gemeinsam mit den Passagieren das Schiff und fuhr nach Hause. Dort schloss er sich in sein Badezimmer ein, schlitzte sich die Pulsadern auf und schoss sich zweimal mit einer Schrotflinte in die Brust. Nachbarn alarmierten die Polizei, und kurz darauf wurde Smith in einem nahe gelegenen Krankenhaus notoperiert.

Die Behörden ermitteln nun, ob der Zweite Kapitän unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stand. Die Boulevardzeitung „New York Post“ will erfahren haben, dass Smith den Ermittlern erzählte, er hätte vergessen, ein Medikament gegen Bluthochdruck zu nehmen. Als Folge sei er deshalb kurz vor dem Anlegemanöver ohnmächtig geworden und habe aus Versehen den Geschwindigkeitsregler auf „volle Fahrt“ gestellt.

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