zum Hauptinhalt

Panorama: Von Hand ziehen verboten

Für viele Touristen sind sie ein beliebtes Fotomotiv, für andere ein Symbol des Elends: Kalkuttas Rikscha-Zieher. Seit über einem Jahrhundert gehören die Männer mit ihren handgezogenen Rikschas in Indiens Armutsmetropole zum Straßenbild.

Für viele Touristen sind sie ein beliebtes Fotomotiv, für andere ein Symbol des Elends: Kalkuttas Rikscha-Zieher. Seit über einem Jahrhundert gehören die Männer mit ihren handgezogenen Rikschas in Indiens Armutsmetropole zum Straßenbild. Menschlichen Pferden gleich ziehen sie die zweirädrigen Wagen, beladen oft mit zwei und mehr Passagieren, durchs Straßengewühl. Die Glücklichen tragen Schlappen, andere traben barfuß über das Pflaster – und waten in der Monsunzeit oft knietief durch Wasser. Nun möchte die von Kommunisten geführte Landesregierung die handgezogenen Rikschas aus dem Verkehr ziehen – weil sie „unmenschlich“ seien.

Bis Ende des Jahres sollen die Gefährte verschwinden, kündigte West-Bengalens Regierungschef Buddhadev Bhattacharya an. Doch viele Betroffene wissen nicht, wie sie künftig sich und ihre Familien ernähren sollen. „Wir haben die Entscheidung, die handgezogenen Rikschas von den Straßen zu nehmen, aus humanitären Gründen getroffen. Nirgendwo in der Welt gibt es eine solche Praxis“, sagte Bhattacharya. Die Rikschas seien ein „Schandfleck“ für die Stadt und behinderten den Verkehr. Die Behörden überlegten, die handgezogenen Rikschas durch Fahrrad- oder Autorikschas zu ersetzen. Betroffene erhielten Geld und Training.

Die handgezogenen Rikschas wurden im 19. Jahrhundert von China übernommen, die Kommunisten verboten diese dort 1949. In dem später verfilmten Buch „City of Joy“ schildert Dominique Lapierre den harten Überlebenskampf von Kalkuttas Rikscha-Ziehern und die gnadenlose Ausbeutung durch die Rikscha-Besitzer. Trotz eigener Gewerkschaft leben die Rikscha-Zieher noch immer unter erbärmlichen Bedingungen.

Nach einer aktuellen Studie arbeiten in Kalkutta über 18000 Rikscha-Zieher. Sie schuften 12 Stunden am Tag und mehr, um 100 bis 120 Rupien – 1,85 bis 2,20 Euro – zu verdienen. Davon gehen noch 20 bis 30 Rupien Leihgebühr an die Besitzer der Gefährte. 60 Prozent leiden an Tuberkulose oder anderen Lungenkrankheiten, die meisten sind unterernährt.

Kalkutta hat schon mehrfach versucht, die handgezogenen Rikschas aus dem Verkehr zu ziehen. So ließ die Stadtregierung 1996 tausende Rikschas beschlagnahmen und verschrotten. Nach massiven Protesten wurden die Rikschas allerdings – außer auf Hauptverkehrsstraßen – wieder erlaubt. Im nächsten Jahr lockte die Regierung mit 12000 Rupien Belohnung für jede abgegebene Rikscha – dem fünffachen Kaufpreis. Doch kein einziges Gefährt wurde abgeliefert.

Die Gewerkschaft will klare Zusagen der Regierung. „Wir erwarten, dass die Regierung die Männer nicht mit leerem Bauch auf die Straße wirft.“ Viele Betroffene misstrauen dem Versprechen Bhattacharyas, für Alternativen zu sorgen. „Wovon sollen wir leben, wenn man uns die Rikschas raubt“, fragt Birju Rai, seit 25 Jahren Rikscha-Zieher. Auch die Fahrgäste sind über das Verbot der traditionellen Gefährte wenig glücklich. Viele Einwohner Kalkuttas sorgen sich, wie sie künftig durch die Stadt kommen sollen – vor allem in der Monsunzeit, wenn Straßen überschwemmt sind und Autos oder Busse liegen bleiben. „Wenn das Wasser hoch steht, gibt es kein anderes Transportmittel. Nur die Rikscha-Zieher können die Menschen dann von Ort zu Ort bringen“, sagt die Hausfrau Dipali Nath.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false