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Panorama: Vorsicht, Klippe

Tausende Berliner fahren an Ostern nach Rügen – aber die Steilküsten gelten seit den großen Erdrutschen als gefährlich

Erst klirrendes Geschirr in den Schränken, dann ein Grummeln und Grollen, als würden Schwertransporter am Haus vorbeidonnern. Dann Stille. Die Reha-Klinik in Lohme stand bis zum Wochenende in vermeintlich sicherer Entfernung zur schroffen Kante der nordöstlichen Steilküste Rügens. Etwa 20 Meter tief fiel das Kliff dort zur Ostsee hin ab. An seinem Rand trotzte Jahrzehnte lang eine Reihe Bäume den rauhen Seewinden. Jetzt hat das Wasser sie sich geholt. Und mit ihnen einen Küstenstreifen von rund 200 Meter Länge und bis zu 100 Meter landeinwärts. Die Lohmener Klinik hat das Kliff nun buchstäblich vor der Haustür. Der Erdrutsch nagte sogar an der Rollstuhl-Rampe. Nur noch anderthalb Meter trennen jetzt das Gebäude vom Abgrund.

Es war der dritte Küstenabbruch in diesem Jahr auf Rügen. Und dies vor dem Osterwochenende, an dem sich traditionell viele Besucher, vor allem aus Berlin, für ein langes Wochenende auf den Weg an die See machen. Wie gefährlich ist ein Strandspaziergang? Erst vor drei Wochen ist beim Absturz eines Kliffs zwischen Göhren und Lobbe am Südostzipfel der Halbinsel Jasmund eine 27-jährige Berlinerin von Geröllmassen begraben worden. Zuvor waren bereits Anfang Februar die berühmten Wissower Klinken, eine bizarre Kreide-Klippe an der Ostküste des Nationalparks, ins Meer gerauscht. Eine Häufung zweifellos und in dieser Dimension außergewöhnlich, aber an sich nichts Unnatürliches, sagt Manfred Kutscher vom Nationalparkamt Jasmund. Ein ganz normaler Erosionsprozess. Die Insel besteht – jenseits der Kreidefelsen – überwiegend aus Geschiebemergel und Sand. Im Nationalpark Jasmund hat der Mergel noch die Eigenheit, dass er auf Kreideformationen liegt. Das Wasser sickert durch die Poren des Erdreichs. Dabei entstehen Risse und Spalten, in denen sich Wasser sammeln kann. Gefriert das Wasser, presst es die Spalten noch mehr auseinander und trennt ganze Schichten voneinander. Setzt dann Tauwetter ein, verwandelt sich die Kreide in Schmiere, auf der darüber liegende Schichten ins Rutschen kommen und dann ein ganzes Kliff mitreißen können.

Umweltamtsleiter Bodo Noack vom Landratsamt Rügen sagt, dass gerade in den dichter bebauten Küstenabschnitten die vielen versiegelten Flächen dazu führen, dass Niederschläge durch die wenigen Sickerflächen den Küstenstreifen besonders intensiv durchfeuchten. Geologie-Professor Martin Meschede von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald sagt, es rächten sich nun Sünden von vor hundert Jahren, als vom Fuße der Steilküsten massenhaft Findlinge weggesammelt wurden, um damit Molen oder Straßen zu bauen. Dadurch fehle dem Sockel der Steilküsten der Halt.

Imbiss- oder Restaurantbetreiber wollen ihre Biergärten oder Freisitze möglichst dicht an die Küste heranbauen. Umweltminister Wolfgang Methling (PDS) entsinnt sich eines erbitterten Streits in Sellin im südöstlichen Inselabschnitt, wo bis 20 Meter an das Kliff herangebaut werden sollte. „Die wären bei einem ähnlichen Abbruch jetzt mit heruntergefallen“, sagt Methling. Professor Meschede plädiert für eine bessere Observierung der Küste und bot dafür ein Uni-Projekt an, bei dem mit hochauflösenden Laser-Verfahren aus der Luft ein digitales Geländeprofil erstellt werden soll, das Küstenveränderungen registriert. Dadurch ließen sich gefährliche Risse erkennen, sagte Meschede. Doch die Erwartung, dadurch Abbrüche vorhersagen zu können, wäre „zu verwegen“. Dennoch hält Minister Mehtling eine solche Früh-Diagnostik für wünschenswert. Auf keinen Fall würden jetzt aber Betonwände an den Steilküsten errichtet. Lohmens Bürgermeister Jörg Burwitz musste schon besorgte Anrufer beruhigen. Die 500 Einwohner des Ortes leben fast alle vom Tourismus. Doch die Tourismuszentrale der Insel hat keine Anzeichen für Stornierungen.

Landrätin Kerstin Kassner (PDS) will nun von Experten die als gefährdet bekannten Stellen erneut prüfen lassen. Schon nach den ersten Abbrüchen hatten die Behörden erwogen, Strandabschnitte zu sperren. Das wurde jetzt nur in Lohme getan. Sonst beschränkte man sich auf das Aufstellen von Warnschildern. (genaue Angaben im nebenstehenden Kasten). Die Landesverfassung verbietet es, den Bürgern den Zugang zum Wasser zu versperren. Auch sei ein Verbot bei der Küstenlänge nicht kontrollierbar. Umweltamtsleiter Noack: „Da muss jeder die Verantwortung für sich selbst tragen.“ Spaziergänge unterhalb der Steilküsten seien gefährlich. Er rät, lieber die Wanderwege oberhalb der Kliffs zu nutzen.

Michael Seidel[Lohmen]

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