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Panorama: Warten auf „Wilma“

Je ungewisser der Verlauf des Wirbelsturms ist, desto schwieriger gestalten sich die Vorsichtsmaßnahmen

Im Umgang mit dem Tod gibt es keine Routine. Die Einwohner an der Südostküste der USA wissen um die Gefahren und ihre Optionen bei Hurrikans – für Florida ist „Wilma“ bereits der siebte in 14 Monaten. Dieser Spätsommer und Herbst ist zur intensivsten Tropensturmsaison seit Beginn der Aufzeichnungen geworden. Und die Menschen kennen die Fernsehbilder, die sie erwarten, ehe sie den Apparat einschalten: Auf den bunt eingefärbten Wetterkarten lässt sich seit Tagen die Bahn des Wirbels verfolgen, dann kommen die Staus der Flüchtenden, darauf die Reporter in ihren Regenjacken an sturmgepeitschten Stränden, unter windzerzausten Bäumen, herabgerissenen Ampeln, schwankenden Straßenschildern. Schließlich die Szenen der Verwüstung und die herzergreifenden Einzelschicksale der Überlebenden, Vermissten und der Heimkehrer, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen.

Und doch bleibt da so vieles unwägbar, unvorhersehbar. Der wechselvolle Verlauf von „Wilma“ stürzt die Leiter der Altenheime in Südflorida in Gewissensnöte. Sie müssen die Risiken für ihre Schutzbefohlenen sorgfältig abwägen, viele sind bettlägerig oder abhängig von Infusionen und medizinischen Geräten. Bleiben kann tödlich sein, aber ebenso die Strapazen der Evakuierung, für beides haben die Hurrikans „Katrina“ und „Rita“ viele Beispiele geliefert, vor allem in Louisiana. Einigermaßen verlässliche Informationen über die genaue Bahn und Stärke eines Hurrikans aber kommen in der Regel zu spät, um Entscheidungen zu treffen. Die Evakuierung eines Pflegeheims verlangt mehrtägige Vorbereitungen.

Allein im Collier County, einem rund 50 Kilometer langen Abschnitt an Floridas Südwestküste rund um Naples, gibt es 28 Altenheime. Das Für und Wider bereitete Bill Maggard, der eines davon leitet, schon mehrere schlaflose Nächte. Als „Wilma“ vor dem Landfall in Mexiko als Sturm der Stärke fünf geführt wurde, war für ihn klar: Wir evakuieren. Doch dann rückte die mutmaßliche Ankunftszeit des Hurrikans immer weiter nach hinten: Aus Samstag wurde Sonntag, aus Sonntag schließlich Montag. „Wilma“ wurde auf Stärke zwei herabgestuft und soll nach den Prognosen auch nicht wie in Mexiko lange auf der Stelle wüten, was die Zerstörungen vergrößert, sondern sehr rasch über Floridas Süden hinwegziehen: zwischen 2 Uhr morgens und 14 Uhr Ortszeit am Montag. Am Sonnabend sagte Maggard der „Washington Post“: Wir bleiben. Er ist froh, dass er seine Alten nicht bereits Mitte vergangener Woche auf eine ungewisse Reise geschickt hat, als man mit „Wilmas“ Landfall noch für Sonnabend rechnete.

Im nördlich angrenzenden Lee County haben sie besonders stabil gebaute Schulen zu Schutzräumen für Menschen, die an den Rollstuhl gefesselt sind, umfunktioniert. Mit Bussen werden die Hilfsbedürftigen eingesammelt, berichtet die „New York Times“. Insgesamt bietet Lee County Schutzräume für 35000 Menschen an. Der Kreis hat angeordnet, Gesunde wie Kranke müssten ihre Häuser räumen – wird aber nicht handgreiflich, sondern versucht es mit verbalem Druck: „Wir fragen die Bürger nicht, ob sie gehen wollen, sondern weisen sie an“, sagt der Sprecher des Sheriffs. „Wer sich widersetzt, dem sagen wir: Viel Glück!“

Auch für die 80000 Bewohner der Florida Keys, einer Kette flacher Inseln an der Südspitze Richtung Kuba, gilt die Zwangsevakuierung. Die meisten befolgten nach den Erfahrungen mit „Katrina“ den Aufruf, einige aber bleiben auch.

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