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Panorama: Warum erschoss der Junge seine Eltern?

Morde des zwölfjährigen Täters bleiben rätselhaft

Der Tathergang scheint inzwischen klar zu sein. Die genauen Umstände des tödlichen Familiendramas von Braunschweig, bei dem ein Zwölfjähriger seine Eltern erschoss und dann versuchte, sich das Leben zu nehmen, sind jedoch auch nach zwei Tagen noch ungewiss.

„Ohne die Aussage des Jungen erfahren wir das nicht“, erklärte Polizeisprecher Wolfgang Klages am Sonnabend. Wann die Ermittler das Kind vernehmen können, weiß zurzeit niemand. Der Schüler hatte sich in den Kopf geschossen. Er befindet sich nach einer Notoperation außer Lebensgefahr und liegt im künstlichen Koma. Dass er überlebt hat, ist reiner Zufall. Dass kein anderer Täter als der Zwölfjährige in Frage kommt, stehe „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest“, meint Klages. Der Junge habe vor dem Selbstmordversuch offenbar mit zwei Waffen mehrfach auf seine Eltern geschossen. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat bestätigt, dass der 66 Jahre alte Vater durch Schüsse in Kopf und Brust, die 49 Jahre alte Mutter durch mehrere Schüsse in den Oberkörper getötet wurden.

Die Frage, wie der Junge an die Waffen gelangte, gehört zu den Rätseln des Falls. Der schwere Colt-Revolver und die Kleinkaliberpistole waren auf den Vater, einen Hobbyjäger, zugelassen. Der verwahrte seine Waffen und die Munition vorschriftsmäßig in verschlossenen Stahlschränken.

Der 14 Jahre alte Bruder des Schützen, der die Tragödie am Donnerstag entdeckt hatte, befindet sich in der Obhut von Psychologen des Jugendamtes und wird von der Öffentlichkeit abgeschirmt.

In Braunschweig dauert das Entsetzen über den Fall an. Im Wilhelm-Gymnasium fiel für die Klassen der beiden Jungen der Unterricht aus. Stattdessen sprachen Psychologen und der Notfallseelsorger Peter Schellberg mit den Kindern. „Sie sind zutiefst betroffen“, schilderte er seine Eindrücke. Viele Schüler hätten erleichtert gewirkt, als er ihnen seine Telefonnummer gegeben und versprochen habe, „dass sie mich rund um die Uhr anrufen können“.

Die Nachbarn in dem gutbürgerlichen Viertel, in dem sich das Geschehen ereignete, sind völlig erschüttert. Die gut situierte Familie sei „eher unauffällig“ gewesen. Bekannte berichten aber auch, der Vater, ein Arbeitsmediziner mit Professorentitel im Ruhestand, habe dem Zwölfjährigen häufig Vorhaltungen wegen dessen schulischer Leistungen gemacht. Er soll seinem Sohn mehrfach gedroht haben, ihn in ein Internat zu schicken. Die aus Mauritius stammende Mutter war über diese Entwicklung unglücklich. „Das war vielleicht der Auslöser. Wenn wir uns aber darauf verlassen, dass es das einzige Motiv war, machen wir uns die Sache zu leicht“, erklärte Klaus Ziehe von der Braunschweiger Staatsanwaltschaft.

In einem dpa-Gespräch sagte der Hildesheimer Kriminalpsychologe Professor Werner Greve, große Frustration könnte das Familiendrama ausgelöst haben. „Wenn da Waffen im Haus verfügbar sind, dann kann das in der Situation die Wahrscheinlichkeit sehr aggressiver Handlungen begünstigen.“ Womöglich sei für das Kind der Unterschied zwischen Töten und Bestrafen seiner Eltern nicht groß gewesen. „Das wird ganz sicher nicht so etwas gewesen sein wie eine monatelang in Ruhe geplante Überlegung.“ Es müsse ganz viel auf einmal zusammenkommen, „dass man sich in so einer Situation gefangen sieht und einfach nicht mehr weiß, was man macht.“ Ohne mehr über den familiären Hintergrund und die Persönlichkeit des jungen Täters zu wissen, lasse sich die Tat schwer erklären, meint Greve. Die Kombination von Frustration und Waffen könne nur erklären, warum die Tat zu diesem Zeitpunkt passiert ist, aber nicht, warum sie überhaupt geschehen ist. (mit dpa)

Jens Krone[Braunschweig]

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