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Panorama: Wenn der Damm bricht

In China bedroht die Flut des Jangtse zehn Millionen Menschen

Von Harald Maass, Peking

Bis zur Hüfte steht den Soldaten das Wasser, während sie bis spät in der Nacht Sandsäcke schleppen. Bauern aus der Umgebung haben Küchentische, Türen und andere Holzgegenstände aus ihren Dörfern gebracht, mit denen sie den Deich befestigen. Am Sonntagmorgen erwartet man am Dongting, Chinas zweitgrößtem See, den Scheitel der Flutwelle auf dem Jangtse. Niemand weiß, ob die Deiche, hinter denen zehn Millionen Menschen leben, dem Wasser standhalten werden.

Seit Tagen ist eine Armee Soldaten und Bauern im Einsatz, um die durchgeweichten Erdwälle zu erneuern. In langen Reihen türmen grünuniformierte Soldaten Steine und Sandsäcke auf. Nachdem die Provinzregierung von Hunan am Mittwoch den Notstand ausgerufen hat, sind mehr als 250000 Kader, Soldaten und Arbeiter an den Deichen im Einsatz. In Arbeitsgruppen von bis zu zehntausend Mann schaufeln sie Tag und Nacht Erde und bessern die Deiche aus. Maschinen sind kaum im Einsatz.

„Bis zum Morgen waren alle Löcher unter Kontrolle“, erklärt ein zuständiger Kader. Doch nicht überall ist die Hochwasser-Armee erfolgreich. Ein Dorf bei Yueyang, einer 600000-Einwohner Stadt am Ufer des Dongting, sei nach einem Deichbruch in den Fluten versunken, berichten Augenzeugen. Insgesamt seien in Hunan 27000 Häuser durch die Fluten zerstört worden, meldet „China Daily". Noch ist man optimistisch, den riesigen See in seinen Ufern zu halten. Am Freitag und Samstag regnete es nicht. Am Samstagmittag stand die Wassermarke bei 34,89 Metern. Wenn am Sonntag der Scheitel der Flutwelle anrollt, rechnet man mit 35 Metern. Das wären 90 Zentimeter unterhalb der Katastrophenflut von 1998. Mehr als 4000 Menschen starben damals in China, davon 100 am Dongting-See. In den vergangenen Tagen wurden entlang des Sees Dörfer und Städte evakuiert. Mehr als 250000 Menschen mussten zeitweise ihre Häuser verlassen, berichten amtliche Quellen. Die Räumung verlief ordentlich, ohne Panik.

Die Menschen am Dongting-See sind Hochwasser gewöhnt. Jedes Jahr mit den Sommerregen schwellen die Flüsse an und überfluten das Land. Da die Häuser und Straßen oft nur schlecht befestigt sind, sind die Folgen fatal. 1000 Menschen sind dieses Jahr bisher im Hochwasser gestorben. Die Zahl hört sich für Europäer enorm an. Für China ist es in etwa der Durchschnitt der Menschen, die jedes Jahr durch die Fluten umkommen. Nach dem Katastrophensommer von 1998 hatte Peking ein Programm zur Eindämmung der Hochwasser angekündigt. Die Regierung stellte Hunderte Millionen Yuan für den Ausbau der Deiche bereit. Ein Abholzverbot für die Urwälder in Sichuan und im Himalaja wurde verhängt. Doch verändert hat sich kaum etwas. Korrupte Kader unterschlugen die Gelder für die Dämme. Der Raubbau an den Wälder geht illegal weiter.

Stattdessen nutzt die Regierung das Hochwasser, um Werbung für umstrittene Großprojekte zu machen. Der riesige Drei-Schluchten-Staudamm am Jangtse sei auch für die Flutkontrolle wichtig, heißt es in Peking. Gegner des Mammutprojektes argumentieren genau das Gegenteil. Durch den Ausbau der Flüsse würden die natürlichen Auffangbecken zerstört und die Auswirkungen der Fluten verschlimmert.

Für die Menschen am Dongting-See kommt der Drei-Schluchten-Staudamm, an dem noch bis 2009 gebaut wird, zu spät. Mit Schaufeln und Steinen kämpfen sie um ihre Häuser und Felder und warten auf die nächste Flutwelle. Für Montag haben die Meteorologen neuen Regen angekündigt.

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