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Panorama: Wer wird denn gleich in die Luft gehen

Wer auf einem bestreikten Flughafen landet, kann etwas erleben

Von Andreas Oswald

Wer einmal nach sieben Stunden auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle gelandet ist, der – wie gestern – bestreikt wurde, kann von einem Albtraum berichten, den er nicht vergessen wird. Der ganze Flughafen liegt lahm, Tausende Passagiere liegen schlafend auf dem Boden, nicht einmal das Schreien der Kinder kann sie wecken, lange Schlangen stehen vor Schaltern, hinter denen kein Mensch bedient, keiner weiß, wann er je einen Weiterflug bekommen wird.

Manche werden in einer solchen Situation panisch, andere beflügelt das Chaos. Es war einmal ein Reisender, der von New York über Paris nach Berlin fliegen wollte. Schon in New York spielen sich vor dem Check-in dramatische Szenen ab. Die Maschine ist hoffnungslos überbucht. Menschen laufen verzweifelt und kopflos hin und her und bestürmen das überforderte Personal. Der Reisende bleibt am Rande stehen, betrachtet die Szenerie. Er überlegt, was er jetzt tun wird, um in die Maschine zu kommen. Neben ihm steht eine fünfköpfige Familie aus Berlin. Die Eltern streiten sich, wer von beiden Schuld hat, dass sie nicht wegkommen, die Kinder weinen. Ein etwa Sechsjähriger bemerkt die Konzentration des Reisenden, wird sofort still. Auch die übrige Familie beobachtet ihn nun, Hoffnung witternd. Er geht weg zu einem fern gelegenen, einsamen Schalter, hinter dem eine Frau sitzt. Mit aller guten Laune, zu der er fähig ist, bittet er sie, ihm doch einen Platz in der Maschine zu besorgen. Sie schaut in den Computer. „Alles ausgebucht“, sagt sie, hält aber ihren Zeigefinger über einer Taste, bis irgendjemand eine interne Umbuchung vornimmt. Für einen Sekundenbruchteil ist ein Platz frei, sie drückt und gibt dem Reisenden strahlend seine Bordkarte. Der dreht sich um und sieht die fünfköpfige Familie, die hinter ihm steht und nun auch Karten begehrt. Ob sie die Maschine noch bekommen wird?

Nach der Landung in Paris teilt die Stewardess mit, dass der Flughafen den ganzen Tag bestreikt wird und niemand eine Chance hat, seinen Anschlussflug zu bekommen. Lähmendes Entsetzen. Der Reisende kämpft sich durch das Flugzeug, um als erster losrennen zu können, wenn die Türe geöffnet wird. „Du hast keine Chance, also nutze sie“, „in allem Schlechten liegt etwas Gutes“, „wenn eine alte Wanduhr kaputt ist, tickt immer noch irgendein kleines Zahnrad sinnlos weiter“ – lauter Unsinn schießt ihm durch den Kopf, während er an schreienden Kindern vorbeirennt sowie an Leuten, die ihn fassungslos stoppen und ihn darüber aufklären wollen, dass hier gestreikt wird, dass hier überhaupt nichts mehr geht, dass hier das Ende ist.

„Du hast keine Chance, also nutze sie“

Seine Maschine hatte eineinhalb Stunden Verspätung. Seinen normalen Anschluss hätte er ohne Streik nicht mehr bekommen. Aber mit Streik? Wenn irgendein Zahnrad sinnlos weitertickt, dann vielleicht etwas langsamer. Und sollte auf diesem großen Flughafen irgendeine Maschine trotzdem noch starten, aus welchen Gründen auch immer, warum dann nicht seine? Er rennt. Rennt. Rennt ganz ans Ende des Flughafens, wo sein Gate liegt. Er traut seinen Augen nicht. Dort stehen zwei reizende Frauen der Fluggesellschaft, so, als ob nichts wäre. Sie wollen gerade den Flugsteig schließen, sehen den Rennenden und lassen ihn durch.

Der bemerkt hinter sich ein Keuchen. Er dreht sich um und sieht den Sechsjährigen aus der Familie, die ihn schon in New York verfolgt hatte. Der Kleine hatte sich dem Reisenden erneut an die Fersen geheftet und kündigt jetzt seine Familie an, die mühselig und beladen hinterherstolpert. Die beiden reizenden Frauen haben noch ein paar Minuten Geduld. Schließlich ist heute Streik.

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