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Panorama: Abgedreht

Zwei Jungs haben das Buch „Rolltreppe abwärts“ verfilmt. Und zwar so gut, dass der Film ins Kino kommt

Dustin und Christopher finden, dass man seine Ziele extrem hoch stecken soll. Weil sich das Ergebnis dann immer noch sehen lassen kann, selbst wenn man nicht alles erreicht. Klare Ansagen. Dabei sind Dustin Loose und Christopher Zwickler gerade mal 19 und 21 Jahre alt. Sie haben mit einer Crew von zehn Jugendlichen einen Spielfilm gedreht, der ab nächster Woche im Kino (leider nicht auf der Berlinale!)gezeigt wird: „Rolltreppe abwärts“.

In wenigen Wochen macht Dustin in Bonn Abitur. Christopher studiert im ersten Semester Produktion an der Filmakademie in Ludwigsburg. Dass zwei so junge Typen – Dustin ist Regisseur, Christopher Produzent – einen Kinofilm machen, „das hat es in Deutschland bisher nicht gegeben“, behaupten sie.

Als Buchvorlage entschieden die beiden sich für ein Jugendbuch von Hans-Georg Noack. Die meisten Schüler kennen „Rolltreppe abwärts“ aus dem Unterricht. Dustin nicht. Er hatte das Buch mal von seiner Schwester zum Geburtstag geschenkt bekommen, es erst ins Regal gestellt und dann irgendwann wieder hervorgeholt. Er findet gut, dass „es nicht mit erhobenem Zeigefinger“ geschrieben ist.

Die Geschichte handelt von Jochen, einem 13-jährigen Jungen, der kriminell wird. Seine Eltern sind geschieden, der berufstätigen Mutter bleibt nicht viel Zeit für ihr Kind, den neuen Lebensgefährten kann Jochen nicht leiden. Weil er keine Klassenkameraden nach Hause einladen darf, wird auch er nie eingeladen. Freunde hat er nicht. In einem Kaufhaus vertreibt sich Jochen nachmittags die Zeit, anfangs allein, später mit einem älteren Jungen, der auch nichts mit sich anzufangen weiß. Jochen klaut, wird erwischt und landet schließlich im Erziehungsheim.

Wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, so fühlen sich Dustin und Christopher doch von Jochens Geschichte angesprochen. „ Es gab immer Leute um uns herum, denen so was Ähnliches passiert ist“, sagt Christopher, „auch wenn man selbst nicht von seinen Eltern vernachlässigt wird oder selbst klaut, bekommt man mit, wenn es bei anderen passiert.“ Sie fühlen sich der Geschichte sehr nah, denn „es ist ja noch nicht so lange her, dass wir selbst in dem Alter waren“.

Obwohl das Buch schon über 30 Jahre alt ist, finden sie es nicht unmodern. Dass sie damit nicht falsch liegen, fiel den beiden auch an den Zuschauerreaktionen auf. Jedenfalls deutet Christopher so die Unruhe, die bei einigen Filmszenen aufkam. „Ich glaube, einige gaben sich bewusst locker, um zu überspielen, dass diese Probleme sie betreffen.“ Ursprünglich sollte der Film nur in Bonn zu sehen sein. Dort lief er im Sommer vergangenen Jahres aber so erfolgreich, dass er nun auch in anderen Städten in die Kinos kommt.

Angefangen hat alles am „Jungen Theater Bonn“. Dort können Kinder und Jugendliche Schauspielkurse nehmen, Stücke mit inszenieren und sie selbst aufführen. Vor fünf Jahren haben sich Dustin Loose und Christopher Zwickler dort kennen gelernt. Drei Monate lang gingen sie beinahe jeden Tag nach der Schule ins Theater und probten für „Crazy“, einer Theaterversion des Romans von Benjamin Lebert. Sie spielten es 100 Mal. Sie bezeichnen es als Glück, dass sie so etwas Sinnvolles wie Theater entdeckt haben. Es hätte auch anders laufen können, gerade weil es in der Pubertät auf und ab geht. „Man sucht sich eigene Interessen, findet welche – oder leider eben nicht. Man schaut sich um, baut Freundschaften auf und verliert sie aber auch wieder. In der Pubertät ist alles immer irgendwie dramatisch“, sagt Dustin. Solche Gefühlswallungen können auch schnell überfordern, meint er. „Wir haben am Theater eben die richtigen Leute getroffen, die uns unterstützt haben. Da konnten wir unsere Zeit gut verbringen.“ Neben der Schauspielerei entdeckte Dustin in der Zeit auch seine Begeisterung für Regiearbeit. Christopher bemerkte sein Talent fürs Produzieren, also dafür, die Dramaturgie eines Stoffes aufzubauen, Theaterstücke oder Filme zu vermarkten.

Vor ihrem Kinofilm-Projekt haben beide schon kleine Rollen im Fernsehen gespielt: Christopher in der Comedy- Serie „Axel!“, Dustin hat in einem Partei-Werbespot mitgemacht. Außerdem haben sie zusammen ein Musikvideo produziert. Für „Rolltreppe abwärts“ gründeten sie ihre eigene Filmproduktionsfirma, „scene missing“. Ihnen gelang, woran zuvor schon andere Regisseure gescheitert waren: Sie erhielten vom Autor Hans-Georg Noack die Erlaubnis, sein Buch zu verfilmen. Dustin hatte Noack einen Brief geschrieben, und darin stand, dass der Geschichte um Jochen doch nichts Besseres passieren könnte, als wenn sie von der Generation verfilmt wird, die dies betrifft. Zwei Tage später rief der Autor an, um zuzusagen. Später, während der Dreharbeiten, lud Christopher heimlich den Autor Hans-Georg Noack als Überraschungsgast ein, um die Stimmung am Set zu heben. Kurz darauf, im vergangenen November starb Noack mit 79 Jahren.

Was antwortet denn der Film darauf, wer schuld ist an Jochens Kriminalität? „Jochen selbst ist auch schuld an seinem Abstieg, genauso wie die Erwachsenen, die nicht aufgepasst haben und überfordert sind, auch Freunde, die ihn ausnutzen, die teilweise zwar nichts machen können, aber auch nichts machen wollen“, sagt Dustin. Einfache Lösungen mögen die beiden nicht. Jeder muss für sich selbst Verantwortung übernehmen.

Durch solche Antworten wirken die beiden Bonner manchmal wie Musterschüler. Man glaubt es trotzdem, wenn Dustin sagt: „Wir sind keine kleine Elite engagierter Schüler, die durchweg gute Noten geschrieben haben und die es womöglich noch mit Unterstützung der Lehrer gepackt haben, so einen Film zu realisieren.“ Das ist ihm sehr wichtig. Er sagt, dass sie „mit jugendlichem Leichtsinn“ gearbeitet haben.

Dabei klingt das, was sie getan haben, eher sehr professionell: Sie schrieben das Drehbuch, suchten passende Drehorte, veranstalten ein Casting. Bei verschiedenen Sponsoren trieben sie 4000 Euro ein, von Verleihfirmen organisierten sie Kameras. Und als das Kaufhaus, in dem eine zentrale Szene gedreht werden sollte, ihnen die Drehgenehmigung verweigern wollte, rief Christopher beim Chef persönlich an und fragte, ob er sich etwa einem ambitionierten Jugendprojekt verweigern wolle. Das wollte er natürlich nicht. Nach elf Tagen waren alle Szenen im Kasten.

Ab 9. Februar im Broadway, Tauentzienstr. 8, Charlottenburg. Tel. 26550276

Christiane Fenske

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