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© dpa

Castings: Schöne Aussichten

Heute startet Heidi Klum ihre Topmodel-Suche – und quält wieder mal ihre Teilnehmerinnen Das hält viele Mädchen nicht ab, sich bei Agenturen zu bewerben. Warum auch Lea es versuchen will

Lea weiß, dass sie zu klein ist, um ein Laufstegmodel zu sein. Aber das will sie auch gar nicht. Sie will auf die Bühne und jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln – mit Werbeaufnahmen. Darum hat sie sich mit einem Foto und einem kurzen Anschreiben bei der Agentur „Younger Models“ in Kreuzberg beworben. „Ich dachte, es wäre gut, ein paar Aufträge zu bekommen und das Vor-der-Kamera-Stehen zu üben“, sagt Lea. Heute hat die 16-Jährige ihr erstes Shooting. Es sind die Aufnahmen für ihre Sedcard.

Die Fotografin knipst. Lea dreht sich vor der weißen Wand im großen Saal der „Stage Factory“ in Steglitz nach rechts und links. Ihr braunes, langes Haar fällt locker über die Schultern. „Eins, zwei, drei: Super! Nur den Kopf locker lassen“, sagt die Fotografin. Lea entspannt mehr und mehr. Sie hat das Gesicht, den Körper und vor allem den Ausdruck für die Werbung, findet Cecilia Ragan-Rabini, die Chefin von „Younger Models“. Täglich bekommt sie dutzende Bewerbungen, zunehmend auch von sehr jungen Mädchen – durch die vielen Casting-Shows im Fernsehen ist die Hemmschwelle gesunken. „Aber ich bin keine Heidi Klum, das betone ich den Bewerbern gegenüber immer wieder“, sagt Ragan-Rabini.

Lena Gercke, Barbara Meier, Jennifer Hof, Alisar Ailabouni und Sara Nuru. Das sind die Models von Heidi Klum. Deren Castingshow „Germany’s next Topmodel“ (GNTM) geht heute in die sechste Runde (mehr dazu auf Seite 31). Erneut haben sich tausende Mädchen beworben. Laut Pro Sieben haben sich 13 374 Kandidatinnen in 21 deutschen Städten persönlich vorgestellt. Zum Casting-Start in Stuttgart kamen 927 Bewerberinnen, in Berlin waren es 894, in Hannover 982 und in München 813.

Der Show wird oft vorgeworfen, dass sie ein falsches Bild von der Mode- und Modelbranche vermittelt. Trotzdem werden in den nächsten Wochen wieder hunderte GNTM-Fans bei Online-Communities wie StudiVZ oder Facebook Haltungsnoten austauschen und mitfiebern. Auf die Kandidatinnen warten Aufgaben zwischen Laufsteg, Make-up und Schulung des Selbstbewusstseins. Am Ende werden drei junge Frauen im Finale auf den Sieg hoffen. „Aber nur eine kann es werden“, wird Heidi Klum wieder sagen. Und eines steht jetzt schon fest: Im nächsten Jahr wird sie wieder nach einer neuen Laufsteg-Hoffnung suchen.

„Mein größter Wunsch ist es, Model zu werden, bitte, bitte, bitte.“ Sätze wie dieser stehen in manchen Bewerbungen, die bei Cecilia Ragan-Rabini eingehen. Andere wiederum sind ganz sachlich formuliert. In ihre Kartei schaffen es rund fünf Prozent der Bewerber. Nach welchen Kriterien sie entscheidet? „Es kommt darauf an, wie authentisch die Mädchen wirken. Hauptsächlich ist es Gefühlssache, aber Fotos mit sexy Kussmund werden von mir sofort aussortiert.“

Bilder sagen viel über einen Menschen aus, findet auch Lea. „Den meisten dienen sie zur Selbstdarstellung. Das sieht man auf Facebook.“ Besonders die von Ragan-Rabini gehassten Schmollmünder zieren dort die Profile junger Mädchen. In den USA nennt man diesen Gesichtsausdruck Duckface – Entengesicht. Wer sich derart in Pose wirft, glaubt, möglichst verführerisch und lässig zu wirken. Es sind nicht nur Mädchen, die solche Bilder von sich im Internet hochladen – in der Hoffnung, dass sie anerkennend und wohlwollend kommentiert werden.

„,Germany’s next Topmodel‘ steht für den Kick vom schnellen Berühmtwerden“, sagt Lea. Ihr und ihren Freundinnen ist sehr wohl bewusst, dass die Kandidatinnen nur ausgenutzt werden. Trotzdem schaut sie die Sendung gerne. Die 16-Jährige glaubt, dass viele Mädchen mit falschen Erwartungen an der Show teilnehmen. „Vermutlich hoffen die Bewerberinnen, groß rauszukommen.“ Diesen Wunsch machen sich die Casting-Shows zunutze.

Der Erfolg von TV-Shows wie GNTM wurde mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht. Das „Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen“ (IZI) hat 1300 Schüler im Alter von neun bis 22 Jahren nach den Gründen für ihre Faszination befragt. „Das Beste für einen Traum geben“ und „an sich selbst glauben“ – das sind nach Ansicht vieler die zentralen Botschaften der Sendung. 60 Prozent der Jugendlichen glauben, Heidi Klum zeige, worauf es bei beruflichem Erfolg ankommt. 63 Prozent können sich durch GNTM vorstellen, vor der Kamera zu arbeiten. „Kein Mädchen würde laut aussprechen, dass es Model werden will. Auch weil Models der Ruf anhaftet, nichts im Kopf zu haben“, sagt Lea. Sie hat in der Schule kaum jemandem davon erzählt, dass sie sich bei einer Castingagentur beworben hat. Von ihren Sedcard-Aufnahmen wissen nur die engsten Freundinnen. „Ich will mein Abitur machen und nicht in einen Klischeetopf geworfen werden.“

Und es stimmt: Mädchen von heute stehen unter einem enormen Druck. Soziologen sprechen von sogenannten additiven Mädchenbildern: Klassisch konnotierte Rollen, wie sie von Barbie oder Hannah Montana vermittelt werden, stehen gleichberechtigt neben dem Bild vom durchsetzungsfähigen Mädchen. Perfektion, Disziplin und Ausdauer werden von Models, Sängerinnen und Schauspielerinnen medial vorgelebt. Einfach nur frech zu sein wie die Girlies, die in den Neunzigern ihren Siegeszug antraten, genügt nicht mehr.Der Anpassungsdruck ist größer geworden. In Zeitschriften oder Vorabendserien sehen Jugendliche gertenschlanke, bildschöne Menschen. Der Starkult trägt sein Übriges dazu bei. Und auch das Thema Schönheitsoperation ist kein unübliches mehr, diverse Fernsehshows zeigen, was diesbezüglich möglich ist.

Lea ist nach 15 Minuten mit ihren Fotoaufnahmen durch. „War schön, anstrengend und so kurz. Das könnte ich öfter machen“, sagt die Schülerin. Einmal im Jahr werden die Fotos auf den Sedcards der Jugendlichen erneuert, darauf legt Cecilia Ragan-Rabini Wert. Lea ist gespannt, wann sie ihren ersten Fotoauftrag bekommt. Und vielleicht geht ja noch mehr. Diane Kruger, die mit 16 als Model nach Paris ging, ist sogar Kinostar geworden.

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