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Panorama: Darf ich mal kurz?

Interessant, was so in euren Taschen ist. Findet unser Autor – er hat schließlich nachgesehen

FRANZISKA (20)

„Also“, sagt Franziska beim Blick auf ihre braune „Mango“-Tasche aus falschem Wildleder, „die war billig.“ Sie lacht viel und erzählt, dass sie die Tasche für zwölf Euro erstanden hat, als sie reduziert war. Innen ist die Tasche aufgeräumt: „Ein Portemonnaie, ein Schminktäschchen, also eine Tasche in der Tasche – das ist ja oft so bei Mädchen.“ Ist das so? Jedenfalls verbirgt sich in der klassisch-schlichten Tasche ein grellbunter Schminkbeutel. Gäbe eine Tasche Aufschluss auf das Wesen ihres Besitzers, wäre das ein Problem: klassisch-ruhig oder grell und laut? Zeige mir deine Tasche und ich sage dir, wer du bist. Auch das Portemonnaie ist eigentlich eine Tasche für sich. Es ist dicker als ein Doppelwhopper. „Ich bin ein kleiner Messie“, sagt sie und zeigt auf einen Stapel Kinokarten. „Außerdem sammle ich sämtliche Bonuskarten von Starbucks, da lege ich sehr viel Wert drauf.“ Allerdings geht sie da nicht oft hin, „weil die so sauteuer sind. Aber wenn, dann will ich auf jeden Fall einen Stempel in meine Bonuskarte haben.“ Ein Handy, Taschentücher und Pfefferminzkaugummis zählen zu den weiteren Utensilien, außerdem ein Schminkspiegel, „aber den hab ich eigentlich nur so, ich weiß nicht, ob Mädchen den generell haben, aber ich denke schon, oder?“ Früher, saght Franziska, war sie Rucksackträgerin. „Den hab ich immer getragen, selbst wenn nur ein Portemonnaie drin war.“ Was bei einem derartig dicken Portemonnaie aber nichts heißen muss.

JENNIFER (15)

Indianer schmücken sich mit Federn ritueller und mythischer Bedeutung. Meist hat der Schmuck mit dem Leben oder der Vergangenheit des Trägers zu tun. Hier zu Lande werden eben Taschen beschmückt – etwa mit Aufnähern, Schlüsselanhängern, kuschelig-niedlich-flauschigen „Diddl“-Mäusen. Die Tasche der 15-jährigen Jennifer aus Stockach am Bodensee ist gleich doppelt geschmückt. Über die Fläche ihrer beigefarbenen, winzigen Tasche ist ein Drache eingestickt, am Riemen hängt ein kleines, gelbes Pferd. „Das habe ich mir selbst gekauft“, erzählt Jennifer. „Die nehme ich immer mit“, sagt sie über ihre Lieblingstasche. In der Tasche, sagt sie, befindet sich „viel Kruscht“. Krimskrams, also.

MAREN (22)

Es gibt nagelneue Jeans, die aussehen, als hätte sie ihr Besitzer schon jahrelang im Bergbau getragen. So wirft auch Marens Tasche die Frage auf, ob sie so aussehen soll, wie sie aussieht oder ob sie einfach wirklich alt ist. „Die ist schon älter“, sagt die 22-Jährige, „die ist eigentlich von meiner Mutter, ich hab sie vor ein paar Jahren im Keller gefunden.“ Die helle Ledertasche stammt aus den 70er Jahren – und als wäre diese Tatsache nicht schon cool genug, trug Marens Mutter die Tasche einst während ihrer Hochzeitsreise. Wohin die Reise ging, das weiß Maren nicht. Der Inhalt der Flittertasche ist übersichtlich, Maren scheint Handtaschen nicht als Survivalkit zu verstehen. Auf die zwei Innenfächer verteilen sich eine Geldbörse und ein Päckchen Taschentücher. Dann bemerkt Maren, dass sie ihr Handy vergessen hat. Was für andere einem Weltuntergang gleichkäme, scheint sie nicht weiter zu stören. Und was ist das? Eine Packung Ohropax. „Ich hab’ Tinnitus“, sagt Maren. Sie lacht, als wären ständige Ohrgeräusche etwas Schönes. „Für die Uni hab ich noch eine andere Tasche, weil hier ja nichts reinpasst“, sagt die Medizinstudentin und streichelt ihre Tasche dabei, als müsste sie sich bei ihr für die Aussage entschuldigen. Maren hängt an der Tasche, Tradition verpflichtet. „Ich habe sie schon ungefähr 20 Mal geflickt.“ Ein neues, etwa nietenverziertes Täschchen würde sie niemals tragen: „Die find’ ich blöd.“

CHRISTIAN (26)

Beim Anblick dieses Bags ist alles klar: Hier ist jemand auf jede noch so widrige Situation vorbereitet! Christian trägt eine Multifunktions-Alltagstasche. „Die ist irgendwie einer Armeetasche nachgebildet“, sagt er. Eigentlich fand der Jurastudent Khakigrün besser, auf dem Stand am Friedrichshainer Flohmarkt gab es aber nur die schwarze Ausführung. „Die Tasche war allerdings neu, das war so ein Profistand.“ Neu, aha, da hätten wir also wieder den typischen Fall von „soll so aussehen“, denn wenn eine Tasche nach jahrelangem Gebrauch aussieht, dann diese. Mit ihr durchstreift Christian den Großstadtdschungel seit einem Jahr. Und was ist drin? „Unikram, einen Regenschirm, was zu trinken, ein Stadtplan, Zeitung oder Buch für die U-Bahn.“ Der 26-Jährige ist im zehnten Semester und schreibt an seiner Examensarbeit. Acht Euro hat das Modell gekostet – dafür, dass auch Gesetztestexte und Aktenordner darin Platz finden, nicht viel Geld.

MARIEKE (16)

Marieke lehnt am Geländer des Einkaufszentrums. Unter unzähligen Tüten, die von einem erfolgreichen Shoppingtag zeugen, verbirgt sich eine kleine Handtasche aus Jeansstoff. Marieke kommt aus Holland und spricht kein Deutsch, weshalb ihre Freundin übersetzt. Aus welcher Stadt Marieke kommt, wird nicht so deutlich, da sie ihre Freundin verbessert, ehe die ausgesprochen hat. Der Name ihrer Heimatstadt wird jedenfalls vom lauten Kichern der beiden übertönt. Immerhin kann die Herkunft der Tasche geklärt werden, die auf einem Markt im holländischen Groningen von Marieke ausgesucht wurde. Sie bezeichnet das Ding als Alltagstasche, die sie seit einem Jahr hat. Dafür sieht sie übrigens ziemlich neu aus. „Zum Shoppen hat sie sie jedenfalls immer dabei“, übersetzt die Freundin. Die beiden haben bei „Forever 18“ und „New Yorker“ eingekauft. Marieke verheddert ihren Arm in den Tüten, ehe sie den Inhalt ihrer Tasche zeigt: eine Kamera und ein Portemonnaie kommen zum Vorschein .

Torsten Landsberg

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