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Panorama: Das versteckte Grammophon Leserin Edith Molière

hat Rätsel aufgegeben

ViktoriaLuise-Schule, Wilmersdorf, Uhlandstraße. 1934 waren wir eine reine Mädchenschule. Wir waren 15 Jahre alt, als wir die Musikstunde der besonderen Art veranstalteten. Wir hatten in unserer Klasse diese nette selbstbewusste Mitschülerin, Gretel Stricker, hieß sie. Sie wusste immer alles und hielt nie mit ihrer Meinung hinterm Berg. Sie galt als Halbjüdin und wanderte ein paar Jahre später mit ihren Eltern nach Österreich aus. Was danach mit ihr geschehen ist, weiß ich nicht.

Eines Tages brachte Gretel ihr kleines aufziehbares Grammophon und einige Schallplatten mit in die Schule. Ich saß neben ihr, und wir platzierten den Apparat ganz unauffällig zwischen unseren Sitzen auf der Schulbank. Während des Unterrichts bei einer nicht sehr beliebten, sehr nervösen Lehrerin schaltete Gretel den Apparat an. Es tönte plötzlich im nüchternen Klassenraum Musik. Erstaunen! Befremden! Großes Rätselraten! Fräulein Raddatz war außer sich. Wo kommt denn plötzlich Musik her? Vielleicht von draußen? Sie verließ das Klassenzimmer und horchte auf dem Flur. Da war es aber still. Sie kam zurück, nichts, sie fand die Quelle nicht.

Allmählich wurde uns mulmig zumute, aber die Situation war doch zu komisch. Besonders als sich das „Fräulein“ auf die Erde legte, um an der Tür der Aula zu lauschen. Nun konnten wir aber mit der Auflösung des Rätsels wirklich nicht mehr länger warten. Fräulein Raddatz bekam einen richtigen hysterischen Anfall und drohte uns mit dem Schlimmsten: uns von der Schule zu werfen. Später war aber alles halb so schlimm, weder Gretel Stricker noch ich mussten die Schule verlassen.

Aufgezeichnet von Claudia Keller. Edith Molière ist 88 Jahre alt. Sie war viele Jahre Archivarin bei Siemens.

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Edith Molière (88) hat mit einer Mitschülerin der Lehrerin einen Streich gespielt. Dafür riskierte sie, von der Schule geworfen zu werden. Aber das machte wohl den Reiz der Sache aus.

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