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Panorama: Der gute Junge

Jens ist Skin. Aber nicht rechts. Er sagt: Es geht ihm um Gerechtigkeit, Arbeiterkultur und Musik

Wir sind in der Ankerklause verabredet, einer Kneipe in Neukölln. Woran werden wir uns erkennen? „Ich hab’ kurze Haare.“ Okay, dumme Frage, wenn man sich mit einem Skinhead verabredet. Die Haare sind ein paar Millimeter lange, dunkle Stoppeln. Ansonsten trägt er Turnschuhe, Jeans und T-Shirt. Das soll ein Skinhead sein? Wo bleiben Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel?

Jens ist ein linker Skin. Einer von vielen. Die linke Skinszene sei ziemlich durchmischt, sagt Klaus Farin, Leiter des „Archivs für Jugendkulturen“ in Berlin. Generell sei die Gewaltbereitschaft unter linken Skinheads deutlich geringer als in der rechten Szene. Eher unpolitisch sind etwa die „traditionellen Skins“, die sich mit den Anfängen der Skinheadbewegung, dem „Spirit of ’69“, identifizieren. Der entstand in den Arbeitervierteln von East London, Ende der Sechziger, und es ging dabei um Musik: Early Reggae und Ska-Musik aus Jamaika verband weiße Arbeiterkinder und schwarze Einwanderer. Erst in den Siebzigern politisierte sich die Szene. Die schwarzen Reggae-Skins spalteten sich ab und immer mehr Rechtsextreme drangen in die Szene. Bald waren auch in Deutschland Skinheads vor allem als „Nazi-Skins“ bekannt.

Das sind sie noch heute. Zum Teil zu Recht. Für den anderen Teil bemühen sich engagierte Webmaster auf Seiten wie du-sollst-skins-nicht-mit-nazis-verwechseln.de zu erklären, wieso Skinsein nicht gleich rechts ist. „Na? Wieder mal einen Skinhead gesehen und gleich den rechten bösen Schläger vermutet?“, heißt es da.Und dann wird erklärt. Wieso ihr Auftreten zwar provozieren mag, aber nichts mit Rassismus zu tun habe. Und was es mit den Schnürsenkelfarben auf sich hat. Fazit: die Faschos haben unser Outfit übernommen, den Ruf der Skinheads ruiniert!

Wieso aber nehmen Leute wie Jens es in Kauf, mit Rechten verwechselt zu werden?

Wir haben uns hingesetzt, in der Ankerklause, Jens bestellt einen Kaffee und später eine Mate-Limonade. Er hat weiche Gesichtszüge und achtet auf seine Worte. Er ist 28 Jahre alt, in Dresden geboren, in Bayern aufgewachsen. 1986 haben seine Eltern den Ausreiseantrag gestellt, ein Jahr später sind sie offiziell ausgereist, noch zwei Jahre später war die Mauer offen. Oberwiesental in Bayern ist ein kleines Dorf. Mit 14 Jahren ist für Jens Punkrock angesagt: Tote Hosen, Die Ärzte, grüne Haare. Damit fällt er auf. 1998 geht er nach Berlin, studiert erst in Potsdam, dann an der FU Publizistik, neuere Geschichte und Politik. Abends geht er in das linke Kulturzentrum Köpi und das Weissbeckerhaus zu Konzerten. Stück für Stück wechselt er von Punkrock zu Ska und irgendwann sind plötzlich die Haare ab. „Ich hab vorher links gedacht, jetzt denk’ ich links, das Einzige, was sich geändert hat, sind die Musik und das Outfit“, sagt Jens.

Geht es nur um Musik, um Kleidung?

Vielleicht hätte bei ihm der Übergang vom Punk zum Skin auch etwas mit dem Erwachsenwerden zu tun, meint Jens. Irgendwann wäre der Punkrock-Kram mit seinen manchmal platten deutschen Texten nichts mehr für ihn gewesen. Als er Skinhead wurde, hat er sich erstmal Literatur darüber besorgt und gelesen.

„Die meisten steigen aber übers Outfit ein“, sagt Jens. Gerade bei den traditionellen Skins sei die Kleidung extrem wichtig. Sie tragen Hosenträger und Button-Down-Hemden von Ben Sherman, mit Knopf am Kragen. Ein „smartes Outfit“, so wie die ersten englischen Skins in den Sechzigern.

Die Solidarität zur „Working Class“ drückt sich vor allem in Markennamen aus. Schuhe von Doc Martens, Poloshirts von Fred Perry und Jacken von Lonsdale. Proletarische Ästhetik, die ihren Preis hat. Es sei schon ein wenig paradox, wie viel die Marken kosten, sagt Jens, aber er laufe ja auch nicht immer in „voller Montur“ herum. Gestern auf dem Konzert habe er Jeans, schwarzes Poloshirt, Doc- Martens-Halbschuhe und seine Harrington getragen. Harrington? „Das sind diese Jacken mit dem Schottenkaromuster innen“, erklärt er. Eine aufgeplusterte Bomberjacke würde er nie tragen. Sein Kopf sei nie glatt rasiert wie bei den rechten Boneheads, bei denen man die Knochen sieht, sondern mit der Schere auf ein paar Millimeter gekürzt. Glatze, Bomberjacke, Stiefel – das sei nur das mediale Bild.

Jens sitzt da, zurückgelehnt und die Füße von sich gestreckt und streicht sich ein bisschen verlegen über den Kopf. Viele Skins seien vorher Punks gewesen. Das habe schon in den Achzigerjahren angefangen. Als der Punkrock plötzlich hip wurde, wechselten manche zum Skinheadlook, um sich abzugrenzen. Dass der da bereits von Nazis besetzt war, ist dabei die doppelte Provokation.

Es geht viel um Provokation, auch für Jens. Er spricht dann in Broschürensätzen. Dass sie eine Szene wollten, die frei von Sexisten und Rassisten sei. Er ist Mitglied in einer linken Gruppe. Sieben Leute, die sich einmal die Woche treffen, Demos, Ska-Nächte und Diskussionen organisieren. Antifaschistische Strukturarbeit, so könne man es vielleicht nennen.

Nur die Außenwelt weiß manchmal nicht, wer wohin gehört. Wenn sie auf rechten Demonstrationen zum Protest auftauchen, etwa. „Bei Gegendemos ist die Polizei etwas verunsichert, weil sie nicht weiß, wo sie uns hinstecken soll. Die wollen uns rechts einweisen und wir sagen dann, nee, wir wollen auf die andere Seite.“ Um zu sehen, wer zu wem gehört, muss man nahe herangehen. Ziemlich nah, bis man sieht, ob auf dem Aufnäher der Jacke „strictly antiracist“ steht. Die Verunsicherung sei, jedenfalls von der rechten Seite, gewollt. Es gebe etwa Rechte, die mit Ziegenbärtchen und Piercing versuchten, linke Lifestyle-Codes von rechts zu besetzen. Ein Rechter im Schafspelz, ein Linker im Anzug. Es herrscht ein Wirrwarr in der Subkultur.

Klaus Farin vom „Archiv für Jugendkulturen“ erklärt die Gruppierungen so: Einen politischen Anspruch hätten eigentlich nur die Mitglieder von RASH („Red and Anarchist Skinheads“), die auch zu Demonstrationen gehen. Von der 1988 in New York gegründeten SHARP („Skinhead Against Racial Prejudice“) sei heute fast nur der Aufnäher geblieben und ihr Ziel, sich deutlich von den rassistischen Skins abzugrenzen. Dann gibt es noch die traditionellen Skins und die Oi!-Skins. Die Oi!-Bewegung hat sich aus dem Punkrock entwickelt, es gibt darunter aber auch rechtsextreme Bands.

„Ich glaube kaum, dass jemand vor mir Angst hat“, sagt Jens. Er wohnt in Neukölln, und da habe noch nie ein Ausländer seinetwegen die Straßenseite gewechselt. Die meisten würden sowieso nicht erkennen, dass er ein Skin sei. Immer wenn es ihm unangenehm wird, kippelt er mit seinem Stuhl nach hinten. In einer Subkultur zu sein, habe natürlich schon etwas mit Abgrenzung zu tun. Und dann sagt er lauter Klischeesätze: Es gehe heutzutage immer nur um Geld. Von Gerechtigkeit redet er. Das kapitalistische System wolle er nicht abschaffen. Aber es gebe Ansätze wie das soziale Grundeinkommen für alle.

Es ist aber nicht nur Gerede. Jens ist einer, der sich in der Uni gegen Studiengebühren engagiert. Der Transparente für die Demo malt und Diskussionen über die Stellung der Frau im Reggae leitet. Verantwortungsbewusst wirkt er, ernsthaft und gleichzeitig ein bisschen verloren. Er ist einer, der in einer Gruppe ist, weil er sie braucht. Der Sicherheit will. Dem das Gefühl, der Subkultur anzugehören, gefällt.

„Es könnte später schwierig werden, den Spagat zwischen Subkultur und Job hinzukriegen“, sagt Jens. Sportjournalist möchte er werden. Gerade bewirbt er sich für ein Praktikum.

Vielleicht gibt es keine klare Antwort, was es bedeutet, ein linker Skinhead zu sein. Skinsein wäre kein Modetrend, sondern ein „Way of Living“, sagt Jens. Er muss jetzt los, die Bühne aufbauen für ein Ska-Konzert am Abend. Es werden viele Linke da sein. Die einen mit Palästinenser-Tüchern, die anderen mit Glatze.

Johanna Lühr

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