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Panorama: Die Generationen-Versteherinnen

Die Buch-Autorinnen Nina Pauer und Meredith Haaf über unerfüllte Versprechen, Selbstverwirklichung und Politikverdrossenheit

Nina Pauer:

„Wir haben keine Angst: Gruppentherapie einer Generation“. Fischer-Verlag,

208 Seiten,

13,95 Euro.

Ihr habt euch in euern Büchern unabhängig voneinander mit den Mitte bis Ende 20-Jährigen beschäftigt. Hat es euch irritiert zu erfahren, dass es da noch jemanden gibt, der sich zeitgleich mit demselben Thema beschäftigt?

MEREDITH HAAF: Es hat eher das eigene Gefühl bestätigt, dass es an der Zeit ist, gewisse Dinge aufzuschreiben und über sie zu sprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass über ein Thema gesprochen wird, steigt ja, wenn mehr als ein Buch dazu erscheint. Man kann dann fast schon von einem Zeitgeist sprechen.

NINA PAUER: Man wird dadurch ernster genommen.

Facebook, Praktikum, Porno – mit welcher Generationenbeschreibung könnt ihr euch am meisten identifizieren?

NINA: Eigentlich haben wir auf solche Labels überhaupt keinen Bock mehr. Wir sind die Generation gar nichts – was ich aber nicht als neues Label prägen will. Wenn ich mir zwingend was aussuchen müsste, wäre Generation Facebook vielleicht noch am akzeptabelsten. Wir waren die Ersten, die diesen medialen Raum in jungem Alter betreten haben.

MEREDITH: Ich fände es spannender, einen Begriff zu finden, der mehr als das Konsum- und Kommunikationsverhalten umschreibt. Generation Post-Demokratie zum Beispiel.

Gibt es denn ein verbindendes Moment innerhalb dieser Generation?

MEREDITH: Wir sind aufgewachsen mit unglaublich vielen Möglichkeiten, in einer Zeit, in der das pädagogische Ideal sehr stark auf das Individuum und dessen Entfaltung ausgerichtet war: Du kannst alles, wenn du nur willst. Dieses Versprechen hat sich jedoch nicht erfüllt. Wir wissen, dass die ökonomischen, ökologischen und politischen Perspektiven ziemlich mies sind. Hinzu kommt, dass die Strukturen, in denen wir leben, auf maximale Leistung, auf maximalen Wettbewerb ausgerichtet sind. Dabei geht jeder Einzelne verloren.

Dennoch ist die Zustimmung zum kapitalistischen System in kaum einer Generation ausgeprägter.

MEREDITH: Wir haben ja nichts anderes gelernt. Slavoj Žižek hat vor kurzem mal gesagt, dass wir uns ein Ende des Kapitalismus nicht vorstellen können, es ist uns nicht möglich. Genau das ist das Problem. Wir können uns einfach nicht vorstellen, was wir mit unserem Leben, mit unseren Fähigkeiten noch machen sollten, außer sie marktwirtschaftlich kompatibel zu verfeinern.

NINA: Wir haben noch kein Gefühl für die Bedrohungen in der Zukunft. Jeder dreht sich um sich selbst und versucht, seinen Weg zu finden. Dabei bleibt keine Zeit, sich Gedanken um den Zustand derWelt zu machen.

Ist das als Vorwurf zu verstehen – oder sogar als Aufforderung?

NINA: Auf jeden Fall. Die Leute haben sich sehr zurückgezogen in ihre Lebenswelt. Man muss sie behutsam zum Nachdenken bringen. Die daraus resultierenden Schritte müssen sie selber tun.

Casper rappt in einem seiner Lieder: „Vielleicht liegt der Sieg einfach darin aufzugeben.“ Wäre das eine Option?

MEREDITH: Tocotronic halten es ähnlich und fordern: „Sag alles ab.“ Einerseits: ja; andererseits: nein. Das Unsichtbare Komitee aus Frankreich erklärt in seinem Manifest „Der kommende Aufstand“, das Einzige, was du machen kannst, ist nichts. Man müsste im Grunde alles lahmlegen, um dann wieder von vorne anzufangen. Den Stecker ziehen. Auf eine Art finde ich das sehr verlockend, alle bleiben nur noch zu Hause, konsumieren und produzieren nichts mehr. Andererseits: Möglicherweise würde dann einfach nur Facebook die Weltherrschaft übernehmen.

NINA: Dafür geht es uns doch viel zu gut, als dass wir uns vorstellen könnten, jenseits des Systems zu leben. Wenn die Menschen das Strukturelle in ihren Problemen und ihren Überforderungen erkennen würden, wäre das schon mal ein Anfang. Einerseits gibt es eine große Sehnsucht danach, mal wieder etwas Gemeinsames zu denken oder zu machen. Andererseits ist die Nüchternheit auch relativ groß – unsere Eltern haben ja schon alles ausprobiert.

Müsste es uns schlechter gehen, damit politische Alternativen probiert werden?

MEREDITH: Ich denke, nicht mal das würde einen Unterschied machen. Dabei wäre es so einfach. Wir könnten zum Beispiel mit dieser unglaublichen Betriebsamkeit aufhören, die schon bei der Optimierung des eigenen Lebenslaufes anfängt. Mit 16 macht man seinen ersten Auslandsaufenthalt, später Schülerpraktika und nach dem Abi ein freiwilliges soziales Jahr, weil das gut aussieht. Während des Studiums werden dann noch mal diverse Auslandsaufenthalte und Praktika eingelegt. Und mit 24 wirken die Leute schon so unglaublich gelangweilt, sitzen in Paris und wissen nicht, was sie machen sollen. Das ist doch furchtbar. Wenn wir damit einfach mal aufhören würden, bliebe vielleicht auch mal Zeit, um Marx zu lesen.

NINA: Das Problem ist, dass Wörter wie Revolution, Marx und Feminismus eine negative Strahlkraft haben. Da winken die Leute ab und wollen nur in Ruhe gelassen werden. Im Grunde müsste man also eine neue Sprache dafür finden. Uns geht es strukturell schlecht, weil wir unter dem Druck der Selbstverwirklichung leiden. Wenn man das erkennt, könnte man sich fragen: Wollen wir so leben? Die meisten checken ja nicht, dass das eine politische Frage ist.

Werden eure Bücher daran etwas ändern?

MEREDITH: Schwierig. Da müssten schon sehr viele Menschen sehr viele Gewohnheiten aufgeben. Zum Beispiel glaube ich nicht, dass junge Menschen unter dem Druck der Selbstverwirklichung leiden, so wie Nina das beschreibt. Für mich qualifiziert sich das nicht als Leid. Der ständige Drang nach Selbstverwirklichung ist vielmehr etwas, das Zeit, Energie und intellektuelles Potenzial frisst. Es ist eine gedankliche Gewohnheit.

NINA: Ja, aber diese Gewohnheit strahlt auch auf den Körper aus. Woher kommen denn die psychosomatischen Erkrankungen von chronischen Rückenschmerzen, Blasenentzündungen über Schlafstörungen bis hin zu Hörstürzen, die Leute heute schon mit Mitte 20 erleiden.

Jungen Menschen wird immer Politikverdrossenheit unterstellt. Zu Recht?

NINA: In den Interviews für mein Buch habe ich meine Gesprächspartner gefragt: Wie ist dein Lebensgefühl und bist du politisch? Die meisten haben sich schnell festgelegt und gesagt, sie sind politisch. Wenn man nachgehakt hat, kam aber nicht viel. Als hätten sie Angst vor dem Statement. Wenn das Bedürfnis nach einem Statement plötzlich wieder zünden würde, wären viele bestimmt dabei.

Lassen sich denn am Wahlerfolg der Piraten Indizien für eine Politisierung ablesen?

MEREDITH: Das würde ich eher als Indiz dafür werten, dass wir die Schnauze voll von allem anderen haben. Man konnte ja eigentlich auch niemanden wählen in Berlin.

NINA: Ich glaube, daran lässt sich eher die Sehnsucht nach einem Statement ablesen. Die Piraten waren die Einzigen, die gesagt haben, das Internet ist eine Sphäre, in der die traditionellen Parteien nicht mehr in Kommunikation mit uns stehen. Wobei man nicht davon ausgehen kann, dass viele Leute ernsthaft an die Piraten glauben.

Es ist also hoffnungslos.

MEREDITH: Nicht unbedingt. Wenn man schon nach Indizien suchen will, dann vielleicht eher bei den Schülerprotesten vor zwei Jahren. Da sind sehr viele auf die Straße gegangen, und das in einem Alter, in dem solche Erlebnisse stark prägen. Durch die Schulreformen haben viele die Staatsmacht früh in ihrem Leben gespürt – sie hatten auf einmal länger Unterricht, mussten mehr Hausaufgaben machen und schneller durch den Stoff kommen. Dadurch werden sie vielleicht eher ein Verhältnis zur Politik entwickeln als wir. Ich könnte mir vorstellen, dass da so ein Potenzial entsteht.

Werden die Mitte bis Ende 20-Jährigen diese Erfahrung nicht mehr machen?

NINA: Sie werden dann vielleicht reagieren. Ich setzte jedenfalls auch große Hoffnungen auf die Jüngeren ...

MEREDITH: ... was echt bitter ist. Wir sind ja nicht mal 30.

Das Gespräch führten Hannes Heine und Nana Heymann



Meredith Haaf:

„Heult doch: Über eine Generation und ihre Luxusprobleme“. Piper-Verlag,

240 Seiten,

8,95 Euro.

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