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Panorama: Die Schule tanzt

Für Erst- bis Sechstklässler gibt es ein neues Unterrichtsfach, das Bewegung in den Vormittag bringt

Gustav ist neun Jahre alt und findet Mädchen doof. Magdalena ist auch neun und mag keine Jungs. Heute sollen die beiden einander tief in die Augen gucken, den Blickkontakt halten und – miteinander tanzen.

Es ist Dienstag, zehn Uhr, und auf dem Stundenplan der Klasse 4c der Uckermark-Grundschule in Friedenau steht Moderner Tanz. „Mädchen und Jungs zusammen – das ist keine Katastrophe, ihr werdet es merken.“ Die das sagt ist Livia Patrizi, die Tanzlehrerin. Und die Kinder glauben ihr, machen, was sie sagt. Nur manchmal muss Magdalena lachen, und Gustav weicht ab und zu dem Blick seiner Klassenkameradin aus.

Livia Patrizi ist eine 38-jährige Italienerin. Sie hat an der Folkwang-Schule in Essen die Tanz-Ausbildung gemacht, in verschiedenen internationalen Kompanien in Schweden und Frankreich, Wuppertal und Weimar getanzt, als Choreografin gearbeitet und Profis unterrichtet. Seit 1999 lebt sie in Berlin und macht Tanzprojekte für Kinder und Jugendliche.

Gerade ist Patrizi einen ganz großen Schritt weitergekommen: Sie hat erreicht, dass seit September an ausgewählten Berliner Grundschulen Tanzen als reguläres Unterrichtsfach angeboten wird. Im Frühjahr dieses Jahres wurde das Projekt „TanzZeit – Zeit für Tanz an Schulen“ öffentlich vorgestellt. Über 200 interessierte Berliner Lehrer kamen zur Einführungsveranstaltung von Livia Patrizi und Cornelia Baumgart, der künstlerischen und der pädagogischen Leiterin. 70 Schulen haben sich danach um die Teilnahme an der Pilotphase beworben, davon konnten 37 Klassen aus 25 Schulen aufgenommen werden. Dort gibt es nun Tanzunterricht bei 41 professionellen Tänzern. Aber zunächst nur bis Februar, denn der Fortgang ist unsicher.

„Das Geld, das für solche Projekte da ist, reicht vorne und hinten nicht“, sagt Renate Breitig von der Senatsverwaltung für Bildung. Sie ist von „TanzZeit“ begeistert und hat dafür gesorgt, dass die Schulen Unterrichtszeit dafür freiräumen konnten. „Nun müssen wir für ’TanzZeit’ eine große Öffentlichkeit herstellen, viele Menschen sollen über die Erfolge und die gute Resonanz bei Kindern, Lehrern und Eltern erfahren. Dieses Projekt muss weitergehen.“

Patrizi erhofft sich weitere politische Unterstützung: „Die Senatoren Böger und Flierl sollen sich zusammensetzen und eine Lösung für die Finanzierung finden. Wir brauchen bis November Klarheit, sonst können wir nicht weiterarbeiten.“ Die 60000 Euro Fixkosten, von denen sie pro Schuljahr ausgeht, seien für den Landeshaushalt „keine Unsumme“.

Livia Patrizi und Cornelia Baumgart sind überzeugt von ihrem Angebot an die Schulen: Tanzen sei ein kreatives Fach und habe zugleich therapeutische Wirkung. „Es kann für Kinder sehr heilbar sein und es schärft den sensiblen Zugang zur Kunst“, sagt Baumgart. Und Patrizi fügt hinzu: „Jedes Kind hat das Bedürfnis, sich sowohl verbal als auch körperlich mitzuteilen – und gerade im Grundschulalter lernen Kinder körperlich, nehmen Dinge, die sie fühlen können, sehr intensiv wahr.“

Für die Klasse 4c der Uckermark-Grundschule bestätigt das die Lehrerin Viola Ebner. In ihrer Klasse gibt es Deutsche, Türken, Araber, es gibt intelligente und weniger begabte Kinder, auch so genannte Gutachterkinder, die als problematisch gelten und unter besonderer Beobachtung stehen. Bei vielen sieht Ebner positive Veränderungen, seit sie Tanzunterricht haben. „Man merkt, dass Kinder, die es in anderen Fächern schwer haben, sich hier besonders anstrengen. Dadurch steigt ihre Anerkennung in der Klasse und letztlich ihr Selbstwertgefühl.“ Auffällig sei die psychosoziale Wirkung des Tanzens: aggressive und hyperaktive Schüler ließen sich begeistern und würden ruhiger, zeigten soziale Kompetenzen, die man bislang höchstens habe erahnen können.

Nachdem Viola Ebner im Frühjahr von „TanzZeit“ erfahren hatte, setzte sie sich sehr dafür ein, dass ihre Klasse Tanzunterricht bekommt. Die Schüler sind mit Begeisterung, Ausdauer und Konzentration dabei. Livia Patrizi profitiert als Lehrerin zwar von ihrem populären Fach, aber vor allem davon, dass es ihr selber Spaß macht und sie die Kinder mit ihrer eigenen Lust und Laune, mit Bewegung und Musik begeistern kann.

Der Tanzunterricht ist ein voller Erfolg, nicht nur an der Uckermark-Schule. Patrizi weiß, warum: „Was wir anbieten ist anders als das, was die Kinder erwarten: Eben nicht Ballett oder statische klassische Tänze“, sagt Patrizi. Und Baumgart meint: „Die Schüler empfinden Tanzen nicht als Unterricht.“

Das stimmt: Vera und Pamela macht tanzen genauso Spaß wie Samer und Jasmin, Toni findet die Lehrerin nett und Denise freut sich auf die Aufführungen im Februar. Am Ende der heutigen Stunde kann Gustav sogar zugeben, dass Mädchen gar nicht so schlimm sind. „Und Jungs auch nicht“, sagt Magdalena.

Christian Helge Röfer

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