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© David Heerde / TSP

Panorama: Einer geht noch

Erster Vollrausch mit 14, beim Abi-Ball zig Drinks und mit Freunden mal eben am Abend ein Sixpack. Saufen wir wirklich zu viel? Das fragt sich Ric Graf und hat sich so seine Gedanken gemacht.

An das erste Mal kann ich mich gut erinnern: Es war im Frühling, mit 14, eine warme Nacht, und irgendjemand meiner Schule feierte auf dem Teufelsberg in Charlottenburg. Das Plateau auf dem Berg war voller Leute, ich war aufgeregt, weil es meine erste richtige Party war. Den ganzen Abend dachte ich darüber nach, als ich mich duschte, anzog, fertig machte, wie das wohl werden würde, ob es wirklich so toll sei, dieses Feiern. Und es wurde toll.

Küsschen links, Küsschen rechts und dann ging ich in der feiernden Menge unter. Wodka aus Plastikbechern, billiges Bier, irgendwer drückte mir eine Zigarette in den Mund, dann einen Joint, dann spielte ich irgendwo Mäxchen mit, irgendwann drehte ich mich, dann der Berg, dann die hell erleuchtete Stadt, die uns zu Füßen lang. Trinken war geil. Betrunken sein noch viel mehr. Dachte ich, dachten wir, denken viele.

Um zwei nachts fuhren meine Freunde und ich den Teufelsberg mit unseren Fahrrädern hinunter – wir mussten nach Hause, wir waren voll. Die Abfahrt war ziemlich rasant, vielleicht zu rasant. Ich landete mit meinem Fahrrad im Wald, hatte einen halben Zahn verloren, Wunden im Gesicht, an Armen und an den Beinen. Eine Freundin schrie nur: „Hinter uns sind Wildschweine!“.

Das war mein erster Rausch und der ging gewaltig nach hinten los. Am nächsten Tag war ich verkatert, mein Bett war voller Blut und mir war schlecht.

Ich hatte einen Kater und trotzdem die Party in guter Erinnerung. Und so änderte sich einiges. Ich begann, regelmäßig zu trinken. Nie bis zum Umfallen, aber auch nicht wenig. So wie viele in unserem Alter. Wir wurden erwachsen.

Heute, ein paar Jahre später, mache ich mir andere Gedanken. Der erste Kater ist längst in Vergessenheit geraten, Trinken ist schon lange nichts Besonderes mehr .

In der aktuellen Studie der Berliner Gesundheitsverwaltung gaben 55 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 15 und 17 an, sie würden in den vorangegangenen 30 Tagen einen Alkoholrausch gehabt haben. Einmal in einem Monat. Ich weiß nicht: Aber ist das jetzt oft? Das ist nur so eine Frage, wie die hier: Wenn im Jahr 296 betrunkene Jugendliche zwischen 10 und 19 ins Krankenhaus gekommen sind – wie viel Prozent sind das doch gleich bei 300 000 Leuten in eben jener Altersklasse? Ist das jetzt wenig? Oder viel? Oder irgendwie normal?

Morgen vor einem Jahr starb Lukas. Er war 16. Lukas trank mit einem Wirt um die Wette: Er schaffte 45 oder 50 Tequila, so genau weiß das keiner und ist letztlich auch egal, jedenfalls brach er zusammen, lief blau an und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Diagnose: eine schwere Alkoholvergiftung. Lukas fiel ins Koma, mehrere Wochen lang. In der Nacht zum 29. März 2007 starb er. 4,8 Promille hatte er im Blut.

Kaum ein Tag verging, an dem ein Politiker kein generelles Alkoholverbot für Jugendliche unter 18 gefordert hat. Flatrate-Partys waren von einem Tag auf den anderen ganz schlimm und die Eltern alarmiert. Und wir? Wir machen uns auch nicht wirklich kluge Gedanken darüber.

Kurz nach der Tragödie saß ich mit Freunden in einer Bar. Wir sprachen über diesen Fall und wir tranken dabei Bier. Das Merkwürdige war, dass sich keiner vorstellen konnte, was da genau passiert war. Ein Freund sagte nur: „Ich saufe mich nie ins Koma.“

Ist es wirklich so einfach? Unser Konsum lässt sich wohl kaum über Verbote klären. Gesoffen wird eh, an Alkohol zu kommen ist im Prinzip einfacher als frische Brötchen zu kaufen (Was bieten Tankstellen denn nachts an – knackige Schrippen oder kaltes Bier?). Kurzum: Es ist jederzeit möglich. Auch für 14-Jährige. Und der flüssige Stoff war und ist immer da: Bei Opas siebzigstem Geburtstag gibt’s schon nachmittags Korn. Wenn die Eltern auf der griechischen Insel in den Ferien den Tag bei einem Fläschchen Wein ausklingen lassen. Oder wenn die Lehrer das Schuljahresende feiern.

Alkohol ist omnipräsent. Und bei uns ist es nicht anders. In ein paar Wochen stehen die Abi-Prüfungen an, da wird abends auch kein Hagebutten-Tee serviert. Und auch sonst nicht: Wenn wir uns abends mit Freunden treffen, trinkt man eher ein Bier oder zwei oder drei, hat sich an den Rausch, den Kater und peinliche Geschichten gewöhnt und denkt gar nicht mehr darüber nach, ob es nicht auch ohne gehen könnte.

Solange wir uns nicht ins Koma saufen, ist alles irgendwie okay. Da prahlen wir stattdessen: „Ach, ich kotze schon lange nicht mehr.“ Saufen hat ein merkwürdiges Image. Gefährlich ist nur Komasaufen und nur in Verbindung mit Jugendlichen. Aber was ist, wenn ein, sagen wir, 19-Jähriger 45 oder 50 Tequila kippt? Gut, der ist volljährig und dafür selbst verantwortlich, aber dadurch wird’s ja nicht besser, oder?

Alkohol hat etwas Unangenehmes: Man kann sich wunderbar selbst betrügen. Und vielleicht machen wir das auch, wenn wir partyroboterartig meinen, mit Alkohol sei es zwar lustiger, aber ohne könnten wir auch. Ja, können wir das?

Wodka mit Energydrinks – das wird getrunken. „Man wird nicht so müde“, sagte mir ein 16-jähriger Kumpel mal. Alkohol ist für die meisten zur Abschaltdroge geworden. Es geht für die meisten um Spaß und Energie am Wochenende. „Wir wollen einfach feiern, so lang wie möglich und so wild wie möglich“, sagt er. Vielmehr geht es uns aber auch um eine angenehme Hemmungslosigkeit, die das Flirten nachts auf einer Hausparty erleichtert, die verbindet und uns selbstbewusster werden lässt. Gerade für uns Junge verspricht das Trinken viel zu oft eine verlogene Kraft. Das ist der Reiz. Wie bei einer stinknormalen und harten Droge.

Wenn man sich auf den Straßen, in den Cafés und Bars und im Freundeskreis umschaut, stellen wir fest: Vielleicht sind wir alle keine Alkis, die den Tag mit einem Bier beginnen, die aber zum Abschalten am Wochenende gern einen trinken. Wir machen die Woche vergessen.

Heute befasse ich mich mit einem Gedanken, der auch unter meinen Freunden als spießig gilt: Ich will mal nicht trinken. Das ist manchmal gar nicht so leicht, weil wir Gewohnheitstiere sind. Dabei geht es ja nicht um die totale Abstinenz, sondern um den lächerlich einfachen Versuch, sich nicht ständig selbst zu betrügen. Oder? Ich mache es einfach mal. Schaden kann es nicht.

Und was meint ihr? Was habt ihr erlebt? Eure Namen bleiben natürlich anonym, wenn ihr wollt. Schickt eure Mails (Alter nicht vergessen!) an: werbinich@tagesspiegel.de

Ric Graf

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