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Panorama: Erinnerung an den fliegenden Schlüsselbund

Frühere Handelsschüler trafen sich nach 50 Jahren

Frühere Handelsschüler trafen sich nach 50 Jahren

Prüfend kneifen die beiden Damen ihre Augen zusammen. „Rechts Karin“, sagt die eine bestimmt und zeigt auf drei Frauen, die gerade auf sie zulaufen. „Links Helga?“ fragt die andere und blickt zweifelnd auf das vergilbte Foto in ihren Händen. Die Aufnahme von 1956 zeigt 28 junge Menschen in einem Klassenraum, angezogen und frisiert im Stil der damaligen Zeit. Fünf Jahrzehnte später sind die Haare grau, statt gemusterten Pullundern oder Petticoat trägt man Polohemden oder Kostüm.

Fünfzig Jahre lang haben sich die Absolventen der ehemaligen Berliner Wirtschaftsschule am Görlitzer Ufer in Kreuzberg nicht mehr gesehen. Für ein Klassentreffen kamen nun achtzehn von ihnen aus ganz Deutschland, den USA und der Schweiz am vergangenen Donnerstag zusammen. Treffpunkt: das alte Gebäude der Handelsschule, in dem heute die Fichtelgebirge-Grundschule untergebracht ist. Und auch wenn es nicht unbedingt auf Anhieb klappt, alle Namen richtig zuzuordnen, die alten Mauern und der Geruch nach gewachsten Böden und Holztreppen rufen sofort Erinnerungen an die gemeinsame Zeit wach.

Erinnerungen an jenen Tag zum Beispiel, als die Sportlehrerin beim Vorturnen rückwärts in den Sandkasten fiel. An heimliche Ausflüge ins nahe Kino. Oder daran, wie herrlich man den Mitschülerinnen auf den steilen Treppen von hinten den lose sitzenden Rock herunterziehen konnte. Und wer im Erdkundeunterricht nicht aufpasste, der musste damit rechnen, von Lehrer Lewin mit einem schweren Schlüsselbund beworfen zu werden.

Andere erzählen von den harten Nachkriegsjahren, von Armut, Arbeitslosigkeit und Hunger. „Klaus hat sich extra zweimal in der Woche in den Kochkurs eingeschmuggelt, damit er etwas Warmes zu essen bekam“, erinnert sich Regina Schwenke (68) und zeigt auf ihren ehemaligen Klassenkameraden. Doch Klaus Koserowsky schüttelt den Kopf: Daran könne er sich nicht erinnern.

Den Standort seines kleinen Tisches im Klassenzimmer aber, den findet er sofort. „Ich saß hier“, sagt er und hüpft ein bisschen auf der Stelle. „Und Wolfgang dort, am Fenster.“ Von den langen Stunden im Klassenzimmer, von Stenografie, Mathe und Buchhaltung sprechen die ehemaligen Handelsschüler allerdings wenig. Die wenigstens wollten unbedingt Bürokraft werden – aber so hatten sie damals beste Aussichten, auch eine Stellung zu finden.

Am Ende scharrt sich die Truppe auf dem Schulhof noch einmal für ein Foto zusammen. Wer weiß schon, wann man sich wieder sieht.

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