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Panorama: Experimente an der Grundschule

Vom nächsten Schuljahr an gibt es in Berlin ein neues Fach: Naturwissenschaften

Man nehme ein Glas Wasser, einen Strohhalm, einen Schuss Öl – und fertig ist das Experiment. Tabea dreht das Glas im Licht und guckt, was passiert: Der Strohhalm sieht in den verschiedenen Flüssigkeiten plötzlich dicker aus, dann macht er einen Knick. Aber wenn man ihn aus dem Glas herausnimmt, ist er wieder rank und schlank. Tabea staunt und mit ihr Merle, Tom und Tim.

Die vier- und fünfjährigen Kinder kommen jeden Donnerstag in die Frohnauer Renée-Sintenis-Schule, um sich von Anke Garbisch die Welt erklären zu lassen: Die Mitarbeiterin des privaten Vereins Science-Lab gibt Antworten auf alle W-Fragen, die Kinder so oft stellen: Wieso ist der Himmel blau, weshalb schwimmt das Öl auf dem Wasser und warum schimmern die Seifenblasen in allen Regenbogenfarben?

Nach den Sommerferien können alle Berliner Grundschüler wie Tabea begeistert experimentieren. Denn dann wird es eine kleine Sensation geben: Die Grundschulen führen ein neues Unterrichtsfach ein, die Naturwissenschaften. Außerdem enthält der neue Rahmenlehrplan für das Fach Sachkunde, der im Juni in Kraft tritt, verstärkt Themen aus Chemie, Physik und Biologie. Die Schüler sollen zum Beispiel lernen, wie eine Beleuchtungsanlage aufgebaut ist, wie Luftverschmutzung zustande kommt oder wie Pflanzen wachsen.

Damit reagiert die Schulverwaltung auf die Erkenntnis, dass Kinder umso weniger nach Naturphänomenen fragen, je älter sie werden. Spätestens mit 13 Jahren will kaum ein Schüler mehr wissen, warum Fensterscheiben beschlagen oder wie ein Thermometer funktioniert. Deshalb soll nun die Zeit genutzt werden, während der die Kinder neugierig sind: die Zeit bis zum zwölften Lebensjahr.

Mit dem Experimentieren wird zwar nicht gleich in der ersten Klasse begonnen. Aber immerhin sollen die Dritt- und Viertklässler im Fach Sachkunde künftig mehr Versuche machen als bisher.

Das neue Unterrichtsfach Naturwissenschaften steht ab kommendem Schuljahr auf dem Stundenplan der Fünftklässler – und ab 2005 auch auf dem der Sechstklässler. Es wird an zwei zusätzlichen Stunden in der Woche unterrichtet, außerdem werden die bereits vorhandenen zwei Stunden Biologie dazugeschlagen: Insgesamt wird es also vier Stunden Naturwissenschaft geben, die die Grundschulen bis zu Beginn des neuen Schuljahres ganz neu organisieren müssen.

Inhaltlich orientiert sich Berlin dabei an Nordrhein-Westfalen, wo es das Fach schon gibt. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) nennt einige der geplanten Themenfelder: der Wasserkreislauf, die Jahreszeiten, Elektrizität, Pflanzen (Aufbau, Wachstum, Pflege), Tiere (Haltung, Artenvielfalt), Stoffe (Eigenschaften, Bestimmung). „Ziel des Unterrichts ist es, dass Kinder Phänomene erklären können, dass sie gewonnene Daten in Tabellen und Diagrammen darstellen und mit Geräten wie dem Bunsenbrenner umgehen können“, sagt Böger.

In den westlichen Bezirken von Berlin gab es ein ähnliches Fach in den 70er und 80er Jahren schon einmal. Es nannte sich „TNU“ – Technisch-naturwissenschaftlicher Unterricht – und wurde 1992 abgeschafft, um Stellen zu sparen. „Ich erinnere mich, wie uns damals das Herz geblutet hat“, sagt Christian Hoenecke. Er wirbt schon seit Jahren in der Referendarausbildung für einen naturwissenschaftlich orientierten Grundschulunterricht. Im Laufe der 90er Jahre mussten Hoenecke und seine Kollegen zusehen, wie die gut ausgestatteten TNU-Räume zu Sprachlaboren und normalen Klassenräumen umfunktioniert wurden.

Heute hat höchstens noch jede zweite West-Berliner Grundschule einen TNU-Raum, nur wenige Mikroskope und Reagenzgläser überlebten. Nur ganz wenige Schulen – wie die Regenbogen-Grundschule in Neukölln – verfügen noch über große Experimentierkoffer, die sie im Sachunterricht einsetzen.

„Ich habe immer viele Experimente gemacht“, sagt Ulrike Mallwitz von der Regenbogen-Grundschule während sie Lukas und Belá das System der kommunizierenden Röhren erklärt. „Nur wer selbst Versuche macht, versteht, wie die Dinge funktionieren.“ Mit Sorge denkt sie an Schulen in den Ost-Bezirken, die nicht auf Bestände aus TNU-Zeiten zurückgreifen können und jetzt mit dem bescheidenen Lehrmittel-Etat neue Geräte anschaffen müssen. Aber immerhin an Schulbüchern wird es nicht mangeln: Ein großer Verlag hat angekündigt, noch in den Ferien das neue Buch „Naturwissenschaft“ in Berlin auf den Markt zu bringen.

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