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Panorama: Ferne Welten, ganz nah

In Workshops des Museumspädagogischen Dienstes zeigenSchüler Gleichaltrigen, dass Kunst Spaßmacht

Wer ist Ed Kienholz? Der 14-jährige Konstantin schüttelt den Kopf. Er hat den Namen noch nie gehört. Ein halbe Stunde später spricht der 14-Jährige in der Berlinischen Galerie mit den Maschinenmenschen des Künstlers. Er hat ihre Antworten vorher auf einem Diktafon selbst eingesprochen.

Seine Mitschüler aus der 9a des Romain-Rolland-Gymnasiums schauen zu und kichern. So einen Wandertag haben sie noch nie erlebt. Statt Bowlen oder Baden hat ihre neue Klassenlehrerin Kirsten Rudnick Kunst angeordnet. Und nun muss jeder zeigen, was er mit Wolf Vostell, Ed & Nancy Reddin Kienholz und Emilio Vedova anfangen kann.

Drei etwas ältere Jugendliche stehen ihnen dabei zur Seite. Sie gehören zu „Reclaim the Arts“, einem Projekt des Museumspädagogischen Dienstes (MD). Statt langweiliger Vorträge über einzelne Bilder wollen die Abiturienten Attila, Elena und Mara die Kunst spielerisch vermitteln. „Wer war das, warum hat er das gemacht und was fällt euch dazu ein“, fragen sie die Schüler. Ähnliche Workshops und jede Menge Führungen gibt es auch in den anderen Kunstmuseen, im Filmmuseum und im Technikmuseum. Außerdem hat der MD viele Stadtspaziergänge im Angebot.

Nach einer kurzen Einführung werden die 29 Schüler in der Berlinischen Galerie in Gruppen aufgeteilt. Innerhalb einer halben Stunde soll sich jede Gruppe eine Performance ausdenken. Lehrerin Kirsten Rudnick beobachtet im Hintergrund. „Ich habe im Internet das Angebot entdeckt und fand die Idee gut, dass hier Jugendliche andere Jugendliche anleiten.“ Sie weiß, wie schwer sich manche Schüler mit Kunstwerken tun. Hier, in der Berlinischen Galerie, macht es ihnen auf einmal Spaß.

Die 14- und 15-Jährigen sind so eifrig dabei, dass sich die Museumsmitarbeiter die Ohren zuhalten müssen, um den Lärm zu ertragen. Bei der Probe für ein Happening vor Vostells Bild „Wir waren so eine Art Museumsstück“ von 1964 ist das Geschrei am größten. Hier versucht ein Schüler das Werk zu erklären, wird aber von vermeintlichen Störern immer wieder daran gehindert. Vostell hätte diese Performance vermutlich gefallen.

„Reclaim the Arts“ ist nicht das erste Projekt des MD, das auf ungewöhnliche Weise versucht, Kunst an Mann, Frau und Kind zu bringen. Am bekanntesten ist die Lange Nacht der Museen, die seit 1998 zweimal jährlich stattfindet.

Das Führungs-Netz, der wichtigste Zweig des Museumspädagogischen Dienstes, bietet Führungen in sieben Sprachen an. Ausstellungsmacher greifen regelmäßig auf das Know-how der 65 zumeist freien Mitarbeiter zurück, wenn sie Besuchern ein professionelles Programm präsentieren wollen. Jochen Boberg ist seit der Gründung des MD vor 25 Jahren Direktor der Einrichtung, die dem Kultursenat unterstellt ist. Er hat schon so viele Projekte auf den Weg gebracht, dass er sie gar nicht mehr alle aufzählen kann. Ausstellungen für Kinder und Jugendliche etwa, wie das Projekt „Der Fliegende Koffer“.

Das Ausstellungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt begeisterte Ende der 90er Jahre dermaßen viele Lehrer, Eltern und Kinder, dass der MD dem Ansturm schlichtweg nicht gewachsen war. „Wir mussten das wegen des Erfolges einstellen“, sagt der 64-Jährige. Zu wenig Personal, zu viele enttäuschte Bittsteller, die keinen Termin für eine Führung bekamen.

Dass die Nachfrage größer ist als das Angebot, ist ein Dauerproblem beim Museumspädagogischen Dienst. „Der Vorschul- und Kindergartenbereich ist ständig überbucht“, sagt Boberg. Auch die Zahl der interessierten Schüler steigt. 2004 nahmen bei 144 Führungen rund 3100 Schüler an einer Führung teil, dieses Jahr sind es fast 6000 Schüler und über 300 Führungen. „Es liegt wohl am Lehrplan, dass so viele Schüler kommen“, vermutet MD-Sprecherin Gabriele Miketta. Vor allem Albert Einstein dürfte für den Andrang in diesem Jahr verantwortlich sein. Besonders die Ausstellung über den Wissenschaftler im Kronprinzessinnenpalais wollten sehr viele sehen.

Bobergs Behörde muss sparen. Dieses Jahr zahlt der Senat 1,1 Millionen Euro an Zuschüssen, doch das ist nur ein Drittel der rund 3,5 Millionen Euro, die umgesetzt werden. Gunilla Göttlicher hätte für ihr Projekt „Reclaim the Arts“ gerne mehr Geld, um Werbung dafür machen zu können. Die Kunsthistorikerin schätzt, dass sich dann mehr Jugendliche melden würden, die Zeit und Lust haben, anderen Schülern ihr Interesse für Kunstwerke weiterzugeben. Jetzt ist sie ständig auf der Suche.

„Wichtig ist uns nicht das Wissen über die Kunst, sondern dass die Jugendlichen sich dafür begeistern können“, sagt die 30-Jährige. Neben dem Angebot für Schulklassen hat Göttlicher auch so genannte Bildgespräche im Angebot. Jeden zweiten und vierten Samstag im Monat erklären ihre Mitarbeiter Jugendlichen unter 18 Jahren kostenlos die Kunstwerke in der Berlinischen Galerie.

Die Schüler der 9a aus dem Nordwesten Berlins sind nach knapp zwei Stunden zufrieden. Sie haben in dem Workshop über die Kunst Theater gespielt, viel gelacht und schließlich auch noch gelernt, was Kunst wert ist. Als sich die Klasse zwischen den Einzelteilen von Vedovas Holzinstallation „Absurdes Berliner Tagebuch“ drängte, ist eine Schülerin gestolpert und ein Stück bemaltes Sperrholz abgeplatzt.

Der entsetzte Museumswächter hat über Funk sofort die Sachverständigen herbeigeholt. Immerhin ist Vedovas Werk über die geteilte Stadt mehrere Millionen Euro wert.

Christine Berger

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