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Bewährungsprobe. In der Theorie klingt alles ganz einfach – in der Praxis ist es meistens schwieriger, ein Mädchen für sich zu gewinnen. Lässige Checker haben bessere Chancen als introvertierte Außenseiter. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel, wie so oft. Foto: P.A. / Denkou Images

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Flirten: Liebe nach Manuskript

Wie erobert man am besten ein Mädchen? Tagesspiegel-Autor Hannes Heine hat sich umgehört In seinem Buch verraten junge Männer ihre Tricks. Unter anderem Alexander, 18. Ein Vorabdruck

Man kann nicht alles haben. Es ist einfach nicht sehr wahrscheinlich, dass man gleichzeitig ein tiefgründiger Schreiber und ein lässiger Checker ist. Zumindest nicht in den Augen 18-jähriger Mädchen. In unserem Alter zählt Tiefgründiges wenig, Coolness ist alles. Wenn ich nach fast zwölf Jahren Schule eines gelernt habe, dann das: Je cooler du bist, desto hübscher die Frauen, die du küsst. Zugegeben, es ist ein billiger Reim, aber deshalb ist der Spruch nicht falsch.

Der Rebell meiner Klasse, der schon als 13-Jähriger mit dem Rauchen anfing, hat die Schönste der ganzen Stufe. Der Sänger der Schulband hat die Nummer zwei, der Fußballkönig die Dritthübscheste. Ich hatte bis vor wenigen Wochen keine Freundin und war Jungfrau. Zwar weiß ich, dass Jungen ihr erstes Mal statistisch mit 17 Jahren haben und ich mit knapp 18 nicht eklatant abweiche, aber ich wurde langsam ungeduldig. Leider kann man Coolness nur schwer trainieren, denn für echte Coolness müssen diejenigen, die mit ihr gesegnet sind, nichts tun. Sie ist einfach da. Wer sich um sie bemüht, erntet höchstens Mitleid.

Äußerlich unterscheidet mich wenig von den Coolen: Zahnspange, Brille oder Akne hatte ich nie. Doch als so richtig cool gelte ich nicht – ich bin immer etwas abseits von den wichtigen Leuten und den aufregenden Orten. Aber auch Außenseiter können erfolgreich sein. Das hat mich ein Blick in die Geschichte gelehrt. Napoleon kam aus Korsika, das damals noch nicht mal richtig zu Frankreich gehörte, der Weg ins Zentrum der Macht nach Paris war weit. Stalin kam aus Georgien, er war Kaukasier und kein Russe, der Weg in den Kreml nach Moskau war noch weiter. Ich komme aus Langenfeld, der Zug nach Köln braucht nur 30 Minuten. Für mich aber war damit bald Größeres verbunden.

Ich wollte immer raus aus Langenfeld. Deshalb habe ich mich für ein Fachabitur am sozialpädagogischen Berufskolleg in Köln entschieden. Dafür nehme ich in Kauf, montags bis freitags zu unmenschlichen Zeiten aufzustehen. Um 6 Uhr klingelt mein Wecker, um 6.55 Uhr geht der Zug. Köln kennt jeder, wegen des Doms, wegen des Karnevals, wegen RTL. Langenfeld muss man nicht kennen.

In Langenfeld lesen die Leute die Rheinische Post, die noch ein Dutzend weitere Kleinstädte mit Lokalberichten versorgt. In Köln haben die Leute den Kölner Stadt-Anzeiger, viele greifen auch zu großen Blättern, der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Rundschau. In Langenfeld gibt es Eiscafés, in denen kleine, klebrige Tetrapaks mit dicker, gelblicher Kaffeesahne stehen. In Köln nimmt man Milch zum Kaffee, meist ist sie aufgeschäumt. Am ersten Schultag des vergangenen Schuljahres, einem Montag, steht sie um 6.50 Uhr neben mir auf dem Bahnsteig.

Sie ist das einzige mir bekannte Mädchen, das Automatenkaffee trinkt. Wer Automatenkaffee trinkt, verbringt die Sommerferien nicht mehr mit seinen Eltern. Sie wohnt ebenfalls in Langenfeld und muss nach Köln zur Schule, wenn auch leider nicht auf meine. Schon zwei Tage später kommen wir ins Gespräch, weil der dicke Hund einer dicken Frau die Zugtür blockiert. „Da haben Frauchen und Hund wohl beide das gleiche Hobby“, sage ich. Sie lächelt und vermutet, dass die Frau den Hund nur überfüttert, damit sie selbst nicht so dick wirkt.

Lästern ist der Lackmustest des Näherkommens. Wer lästert, schämt sich vor dem anderen nicht. Sie heißt Katharina. Donnerstag und Freitag fahren wir wieder zusammen. Das Wochenende war zäh, ich konnte den Montag kaum erwarten. Eine weitere gemeinsame Woche voller Zugfahrten haben gereicht und ich weiß: Sie soll meine Freundin werden.

Ich wurde schöpferisch, dachte mir Reime aus und intensivierte meine Neigung zu Kurzgeschichten. Ich wollte Großes vollbringen – ich wusste nur noch nicht genau was. Bis dahin sang ich erst mal,unter der Dusche, beim Anziehen, auf dem Weg zum Zug. Liebe ist, wenn man Tag und Nacht singen möchte, ohne Honorar und Manager. Das hat Frank Sinatra mal gesagt.

Jeden Morgen im Zug hätte ich es ihr am liebsten sagen wollen: „Du, Katharina, ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich kenne dich schon ausreichend gut, um sagen zu können: Ich liebe dich!“ Ich musste diese Botschaft gut verpacken und äußerst schonend überbringen. Minnesang à la Sinatra schied aus, meine Talente lagen ohnehin woanders.

Ich schrieb unter dem Arbeitstitel „Der Weg“ einen Kurzroman. Die Geschichte ist schnell erzählt: Sascha ist ein Außenseiter, kommt aus Polen und will an einer deutschen Spitzenuniversität eine große Nummer werden. Der Selbstmord des Vaters daheim hat ihn zu einem verbissenen Studenten gemacht. Als junger Professor stellt er dann fest: It’s lonely at the top.

Er fährt auf Sinnsuche in die Heimat und will seine Jugendliebe Jasmin besuchen. Doch sie lebt nicht mehr in Polen, sondern ebenfalls in Deutschland, zusammen mit einem karrieregeilen Arzt, der seinem Aufstieg alles geopfert hat: seinen schlanken Bauch zum Beispiel, weil er nach den Zwölf-Stunden-Schichten abends nur noch auf der Couch sitzt. Statt gesünder zu leben, kauft der Arzt einfach eine breitere Couch, Geld ist schließlich vorhanden. Jasmin glaubt nicht mehr, was sie sich in den vergangenen Jahren eingeredet hat, nämlich, dass der Arzt die Liebe ihres Lebens wäre. Auch Sascha glaubt nicht mehr, was er sich in den vergangenen Jahren einzureden versucht hat, nämlich, dass es keine Liebe gäbe. Die beiden treffen sich, als er aus Polen zurückkommt, zufällig am Kölner Hauptbahnhof. Ende gut, alles gut.

Ich habe von schweißgebadeten Jungs gehört, die angebeteten Frauen ehrliche Briefe, ehrliche E-Mails, ehrliche SMS schrieben. Das ist gewagt, denn dadurch setzt man einem möglicherweise noch unsicheren Mädchen die Pistole auf die Brust. Und das auch noch schriftlich, also für alle Ewigkeit unleugbar. Ich hingegen habe nur einen netten Text geschrieben, nicht ganz absichtsfrei zwar, aber auch nicht bloß, um Katharina zu imponieren, sondern um mich mitzuteilen, ohne sie zu einer Entscheidung zu zwingen.

Katharina liest den Text nicht sofort. Damit habe ich gerechnet, denn als Liebesbrief kann sie das Manuskript nach meiner Darreichung an einem Dienstag nicht auffassen: „Würde mich sehr freuen, wenn du das irgendwann mal liest, falls du Zeit hast. Und sei kritisch! Vielleicht habe ich zu wenig Talent und sollte mir lieber ein Skateboard kaufen.“ Katharina lacht.

Eine knappe Woche später, an einem Montag nach einem langen Wochenende, betrete ich um 6.53 Uhr den Bahnsteig, sie steht schon da, einen Automatenkaffee in der Hand. „Hast du den Text allein geschrieben?“ „Ja“, antworte ich. Der Zug rollt ein. „Wie bist du darauf gekommen?“, fragt Katharina. „Ich wollte schreiben, was mich bewegt oder mal bewegen könnte. Obwohl ich das Ganze bewusst in anderen Kreisen angesiedelt habe.“ „Wem hast du den Text noch zum Lesen gegeben?“ „Niemandem. Noch.“ Sie soll ruhig wissen, dass ich ihr als Erste meinen Text anvertraut habe, gleichzeitig aber nicht denken, dass ich ihr in kalter Berechnung einen getarnten Liebesbrief geschrieben habe. Der Zug hält. „Ich bin heute Abend im ,Music‘. Willst du auch kommen?“

Als ich ins „Music“ komme, sitzt sie schon da, ein Weinglas vor sich. Ich bestelle Kiba. Ist mir egal, ob das jetzt komisch ist oder nicht. Ich mag Kiba. Katharina erzählt mir, dass sie der Text beeindruckt hat. Ob ich wie meine Hauptfigur denken würde? Ich werde ein bisschen rot, Katharina wartet meine Antwort nicht ab. Wir seien uns sehr ähnlich, das wisse sie nun, denn wahre Liebe würde auch sie Sicherheit und Wohlstand vorziehen. Sie sagt das so klar, als wäre sie meine Deutschlehrerin.

Das Fazit: Mein Manuskript hat zu meiner ersten Freundin geführt. Erster Kurzroman, erstes Mal, erste Liebe. Manchmal hat man eben doch alles auf einmal.

— Hannes Heine: Abgeschleppt. 33 Männer erzählen von charmanten Aufrissen, spektakulären Eroberungen und meisterhaften Verführungen. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 224 Seiten, 9,95 Euro.

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