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© Uwe Steinert / Tagesspiegel

Panorama: Geburtstag ohne Grenzen

Sarah kam in West-Berlin zur Welt, Vanessa in Ost-Berlin – am 9. November 1989. Heute werden sie 18

Hoffentlich sind die Drinks gut! Hoffentlich hämmert der Beat von Gwen Stefani schön satt aus den Boxen. Und hoffentlich sind die 150 Leute in Partystimmung, wenn sie heute Abend in den Club einfallen, den Vanessa extra gemietet hat. Hoffentlich, das sagt auch Sarah, wird der Frühdienst heute in der Arztpraxis nicht so stressig. Denn auch Sarah will später noch lang und krachend feiern. Es ist schließlich der 9. November 2007, und heute feiern die beiden ihren Geburtstag. Wenn man so will, dann gehört dieser Freitag also Vanessa und Sarah, denn die beiden werden volljährig.

Doch ganz so einfach ist es natürlich nicht, denn dieser Tag gehört dem ganzen Land. Heute vor 18 Jahren fiel die Mauer, und in jenen Stunden des kollektiven Jubels kamen die beiden Mädchen zur Welt. Morgens, kurz nach 6 Uhr, kreischte Vanessa Hentrich damals das erste Mal im Krankenhaus Köpenick, in Ost-Berlin. Am Mittag folgte ihr Sarah Klose, im St.-Joseph-Krankenhaus in Kreuzberg. Drüben, in West-Berlin.

Geboren am 9. November 1989. Die Kinder der Wende werden erwachsen, volljährig. DDR? Stasi? Mauerstadt? Wenn Vanessa – aus Köpenick – und Sarah – aus Kreuzberg – das alles hören, dann überfällt sie ein Gefühl der Ohnmacht. Was wollen die denn alle von uns? Sie werden einsilbig. Aufgeregt sind sie nur wegen ihres Geburtstags. Nicht wegen des Mauerfalls.

Wir treffen die beiden an einem Nachmittag im Nieselregen an der Oberbaumbrücke. Früher war das Areal ein Grenzübergang und trennte Ost und West. Damals fuhr keine U-Bahn, und der heute so selbstverständliche Gang über die Brücke war nur für Westler problemlos möglich. 18 Jahre später läuft das bunte Feiervolk entspannt mit einer Flasche Bier in der Hand und mit Freunden zwischen den Kneipen im Wrangelkiez und der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain hin und her. Knutschende Paare schauen sich den Sonnenuntergang an und im Sommer wird auf der Brücke zu elektronischen Beats getanzt. Das ist unser junges Leben im jungen Berlin, es ist das von Vanessa und Sarah.

Und doch werden die beiden immer wieder auf die Daten in ihrem Personalausweis angesprochen. Neulich etwa, Sarah war gerade beim Arzt, da diktierte sie der Kollegin hinterm Tresen ihr Geburtsdatum in den Computer. „Neunter November, neunundachtzig.“ Da hob die Kollegin den Kopf, starrte sie an, „es machte ratter-ratter – da war doch was?!“, erzählt Sarah, „ach Mensch, der Mauerfall!“ Und als sie mal im Geschichtsunterricht gefragt wurde vom Lehrer, wann denn die Mauer gefallen sei, da kannte sie natürlich die Antwort. Aber sonst? Nur zwei andere. „Schade eigentlich“, sagt Sarah. Gut, dass im Geschichtsunterricht so viel über Nazideutschland gelehrt wird, aber schade, dass es so wenig ist über die DDR.

Vanessa arbeitet samstags bei Ikea für kleines Geld. 4,20 Euro pro Stunde. Sie hat gerade die neunte Klasse wiederholt, das bereitet ihr ein paar mehr Sorgen als der 18. Jahrestag des Mauerfalls. Vor acht Jahren wurde sie mal von einem Tagesspiegel-Reporter gefragt, wie die Mauer denn ausgesehen haben möge: Woher sollte sie das denn bitte wissen, als kleines Mädchen? Sie antwortete: „Bestimmt so altmodisch und braun.“ Vanessa erinnert sich heute lachend an diese Anekdote. Das Thema Mauer ist eines ihrer Eltern. Dass die Mauer an der Spree erst nach ’89 mit bunten Graffiti bemalt und damit als East-Side-Gallery weltbekannt wurde? Wo die Mauer zwischen Johannisthal, wo sie wohnt, und dem Nachbarbezirk Neukölln verlief? Das ist irgendwie nicht ihre Geschichte, erst recht nicht an ihrem Geburtstag. Viel mehr war es schon immer so: Je größer Vanessa wurde, desto kleiner wurde die Mauer. Und mal ehrlich: Wer von denen, die in den Achtzigern geboren wurde, weiß denn schon genau, wo die Mauer exakt verlief – und wer denkt daran? Heute feiert man im Kontrast. Im Cookies. Und manchmal im Ku’dorf.

Und doch berichten Sarah und Vanessa noch immer von feinen Unterschieden. Sie sind zwar in einem Land groß geworden, aber in zwei Stadthälften. In Treptow gab’s Neonazis, die an der Schule stolz ihre „Lonsdale“-Pullis tragen – die vier Buchstaben „nsda“ sind Naziprovokation genug. Im Westen dagegen nervt das Pascha-Geprolle von Gangstern, Gangs und Aggro-Tussis.

„Im Osten sind die Leute anders, sie berlinern anders“, sagt die gebürtige Kreuzbergerin Sarah. Sie wohnt heute in Neukölln und ist im benachbarten Treptow zur Schule gegangen. „Wenn man im Osten zur Schule geht, dann lernt man ganz andere Ausdrücke: ,Du gehst mir tierisch auf den Puffer‘ zum Beispiel. Sagt doch in West-Berlin niemand, oder?“ Die Leute an der Schule haben gehört, dass sie aus dem Westen kam, es gab aber nie Probleme. Und, na klar, früher war da noch dieser Klamotten-Style! „Im Ostteil haben sie sich viel auffälliger angezogen: Rosa Strähnchen, Buffalo-Schuhe mit dicken Absätzen.“ Sarah schüttelt sich und lacht. Und erst diese Musik! Techno und Onkelz, während sie auf Black Music und Soul stand. Wessis dagegen galten als schnöselig und arrogant, auch die jungen. Heute gibt’s keine musikalischen und auch keine modischen Grenzen mehr, und wenn, dann verlaufen die nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen Hellersdorf und Friedrichshain oder Hermsdorf und Kreuzberg. Heute gibt’s Unterschiede zwischen Randbezirken und Zentrum.

Sarah und Vanessa feiern heute Abend nicht allein. Laut des Statistischem Landesamtes haben heute 75 Wendekinder in der Stadt ihren 18. Geburtstag. 40 Mädchen, 35 Jungs. Alle geboren am 9. November 1989. Und alle werden heute etwas anderes im Kopf haben als die Wende und den Mauerfall. Sie werden aufgeregt an ihre Party denken. Und in die Nacht ausschwärmen.

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