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Panorama: Gefährdete Freundschaft

Unsere Leserin Elsbeth Kupferoth hatte eine Lehrerin, die Grausames androhte

Ich ging in die ViktoriaLuise-Schule in der Uhlandstraße in Wilmersdorf und hatte die süßeste Freundin in der ganzen Klasse.Wir waren 15 Jahre alt, die Nazis waren seit drei Jahren an der Macht. Die Lehrer betraten die Klasse zum Unterricht mit erhobenem rechten Arm, wir mussten den so genannten „deutschen Gruß“ im Chor erwidern.

Unsere Englischlehrerin Fräulein von Ziegesar zeichnete sich nicht nur durch eine schlechte Aussprache aus, sondern auch dadurch, dass ihr Unterrock unter dem Rock hervorschaute.

Wir sollten einen Satz im Imperfekt bilden. Ich meldete mich und sagte: „My combination was longer than yours.“ Ich meinte natürlich „composition“, hatte die Worte verwechselt. Stille. Fräulein von Ziegesar wurde knallrot, die Brille fiel ihr von der Nase. Die Schüler lachten, johlten und klatschten. Erst das damals beliebte Schlagen des Zeigestocks auf das Pult brachte wieder Ruhe in das Klassenzimmer.

Ich bekam zwar keinen Tadel im Klassenbuch, wurde aber am nächsten Tag zu Fräulein von Ziegesar beordert. Ich dachte, jetzt kommt sicher die verspätete Strafe. Dann hörte ich im scharfen Ton den Satz: „Wissen Sie eigentlich, dass Ihre Freundin Jüdin ist?“ Ich erschrak und sagte dann leicht fragend „Ja?“ Sie drohte, meine Freundin an die Gestapo auszuliefern. Meine Freundin hieß Marion Rosenberg. Ich war richtig vernarrt in sie. Sie hatte wunderschöne Augen, eine hübsche Frisur und war immer schick angezogen. Ich sehe sie noch vor mir in ihrem dunkelbraunen Samtkleid mit einem weißen Bubikragen aus feinem Pikee, der gesäumt war von einem schmalen Plisseerand. Marion lebte mit ihrer Mutter in Wilmersdorf in einer sehr eleganten Wohnung. Wir haben uns oft nachmittags getroffen, sind ins Kino gegangen oder spazieren.

Viele meiner Mitschülerinnen waren im „Bund deutscher Mädel“ und beschimpften die jüdischen Mädchen. 1938 haben wir Abitur gemacht, danach habe ich Marion nur noch ein paarmal gesehen.

Nach dem Krieg habe ich versucht, herauszufinden, was aus ihr geworden ist. Ich habe aber keine Spur von Marion gefunden, nur von einem anderem jüdischen Mädchen aus unserer Klasse. Sie hat den Krieg überlebt, weil sie einen Italiener geheiratet hat. Das hat sie gerettet.

Aufgezeichnet von Claudia Keller.

Elsbeth Kupferoth ist 84 Jahre alt, wohnt in München und arbeitet bis heute als Designerin und Malerin.

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